Der Gemeinsame Nenner

30 Jahre Künstlerbuch-Almanach COMMON SENSE und die Grafik- und Künstlerbuchsammlung der SLUB

Eine Ausstellung der SLUB Dresden | Corty-Galerie | 31. Januar bis 3. Juli 2022

1989, kurz vor dem Ende der DDR, erschien der erste Band des Künstlerbuch-Almanachs COMMON SENSE. Er steht in der Tradition der Künstlerbücher und originalgrafischen Zeitschriften, die vor allem in der späten DDR ein viel genutztes Medium experimentierfreudiger Künstler:innen und kritischer Literat:innen waren, trotz und wegen der (kultur-) politischen Einschränkungen zu publizieren. Konzipiert als Jahrespublikation, vereint der Almanach COMMON SENSE Beiträge einer Vielzahl von Künstler:innen und Autor:innen; bis zum Abschluss der Reihe 2018 waren es über 500 Beteiligte. Herausgegeben wurde er vom Schriftsteller Jörg Kowalski und dem Künstler Ulrich Tarlatt, die 1987 in Halle (Saale) die edition augenweide gegründet hatten, um Künstlerbücher mit mehr Freiraum für künstlerische und literarische Experimente, als es das Verlagswesen der DDR vorsah, herzustellen.

Ulrich Tarlatt, Herausgeber des COMMON SENSE:
„es war unser anliegen arbeiten von geschätzten künstlern und literaten zusammenzufügen
sie einzuladen für ein gemeinsames buch
die form des almanachs war da geeignet - zeitaktuell und sprachliche vielfalt durch  verschiedene akteure 
so wurden künstler und literaten gebeten etwas für den almanach zu schaffen
vorgegeben war nur das format - die schreibmaschinenseite und für die kunst wichtig die auflage - bis auf die ersten 3 jahrgänge 75 exemplare
alles sollte dafür neu geschaffen werden bzw noch nicht publiziert sein
kein thema keine festgelegte form - gedichte kurzgeschichten fragmente skizzen tagebuchnotizen … für die kunst alle klassischen grafischen techniken aber auch neue digitale druckmöglichkeiten hinzu zeichnung collage und fotografie
im buch begegnen sich unterschiedliche handschriften
der gedanke an das buch im zusammenklang ist nur gesteuert durch die auswahl der eingeladenen
zum schluß das puzzle … das fügen zum buch … der reiz des zufalls … überraschende übergänge … spannende konfrontationen …
dann zum buchbinder … und … jedes jahr geschafft daß es weihnachten fertig ist … verpacken versenden … das niewieder am ende und nach wenigen wochen und vielen netten worten der neustart - das aufgehts“

Charakteristisch für die inoffiziell entstandenen Künstlerbücher der späten DDR war die intensive und fruchtbare Zusammenarbeit von bildenden Künstler:innen mit Literaturschaffenden, die auch der stärker unter Beobachtung stehenden Textproduktion zu einer, wenn auch begrenzten, Sichtbarkeit jenseits der Schreibtischschublade verhalf. Es entstanden eigenwillige und unkonventionelle Bücher und Periodika, deren wenige Exemplare, nicht selten lediglich 10 bis 30 Stück, außerhalb der üblichen Vertriebswege ihr Publikum fanden. 

Schon zu Beginn der 1980er Jahre kamen Herausgeber:innen dieser Publikationen auch auf die Sächsische Landesbibliothek, heute SLUB Dresden, zu, um die Bücher für den Erwerb anzubieten. Der Zustimmung und Unterstützung Burghard Burgemeisters, des damaligen Generaldirektors, ist es zu verdanken, dass die Bibliothek fortan, ergänzend zur offiziellen Verlagsproduktion, auch diese nicht unproblematischen, weil ohne Druckgenehmigung erschienenen Medien regelmäßig erwarb. Auch die Herausgeber des COMMON SENSE hatten erfahren, dass die Sächsische Landesbibliothek Künstlerbücher und -zeitschriften erwarb. Sie informierten die Mitarbeiter:innen über das Erscheinen des neuen Almanach, der fortan bis zur Fertigstellung des letzten Bandes 2018 als Fortsetzungsbestellung vollständig in den Bestand gelangte. 

Der Abschluss des Almanachs nach 30 Jahren ist Ausgangspunkt für die neue Ausstellung in der Corty-Galerie der SLUB Dresden. Anhand von über 100 Einzelgrafiken lässt sie 30 Jahre COMMON SENSE Revue passieren und setzt den Almanach in den Kontext der 1986 gegründeten Grafik- und Künstlerbuchsammlung der SLUB Dresden, deren Schwerpunkt auf der nonkonformen Buchkunst der späten DDR liegt und die zu einer der herausragenden Sammlungen des Hauses zählt. 
Neben den Grafiken sind Künstlerbücher aus der Produktion der Hallenser edition augenweide zu sehen. Ergänzend werden Beispiele aus der Grafik- und Künstlerbuchsammlung der SLUB Dresden gezeigt, anhand derer ein näherer Blick auf diese bemerkenswerte Sammlung geworfen und neue Fragen an ihre Geschichte, an Provenienz der Objekte, an Protagonisten und Sammlungsprofil gestellt werden.