Biography Jörg Herchet
Jörg Herchet, eine der wohl eigenwilligsten Komponistenpersönlichkeiten Dresdens, wurde am 20. September 1943 in Dresden geboren. Während des Grundschulbesuches begann seine musikalische Ausbildung mit Blockflötenunterricht. 1956 legte er die ersten kleinen Kompositionsversuche vor. Von 1958 bis 1962 besuchte er die Erweiterte Polytechnische Oberschule in Dresden Plauen. Ab 1959 unterrichteten ihn Angela Kolniak in Gesang und Kurt Beythin in Musiktheorie. Er erhielt Klavier- und Violoncello-Unterricht .
1962 begann er ein Studium an der Dresdner Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“. Er studierte zunächst Komposition bei Johannes Paul Thilman, später bei Manfred Weiss und Violoncello bei Clemens Dillner von der Dresdner Staatskapelle. Schon kurz nach Beginn seines Studiums kristallisierten sich verschiedene Differenzen ästhetischer und politischer Natur mit einigen seiner Lehrer heraus. Den vorläufigen Höhepunkt in der ästhetisch-politischen Auseinandersetzung während seiner Dresdner Musikhochschulzeit bildete die Uraufführung seiner Kammermusikkomposition „Interfragmentarium für K“ (K bezieht sich auf den Dichter Franz Kafka), welche im Januar 1966 aufgeführt wurde. Nach der Uraufführung, die Herchet allen Widrigkeiten zum Trotz durchzusetzen vermochte, kam es zu einem Eklat, der weniger den Umstand betraf, dass diese Stück dodekaphon gearbeitet war, sondern vielmehr den, dass sich Herchet mehr oder weniger offen auf den damals in der DDR unerwünschten Dichter Franz Kafka bezog. Das blieb für Herchet nicht ohne Konsequenzen: vom damaligen Rektor der Dresdner Musikhochschule, Hans Georg Uszkoreit, wurde ein Lehrerwechsel zu Karl-Rudi Griesbach verfügt.
Griesbach galt als eine anerkannte pädagogische und künstlerische Kapazität. Deshalb ging man davon aus, Herchet durch diese Maßnahme disziplinieren zu können. Zu Griesbach fand Herchet aber kein Verhältnis, vorrangig deswegen, weil er seinen Lehrer Manfred Weiss, dem Herchet menschlich und auch fachlich eng verbunden war, wegen einer administrativen Entscheidung verlassen musste.
1966 ging Herchet nach Berlin, um sein Kompositionsstudium fortzusetzen. Er hoffte auf ein liberaleres Klima an der dortigen Hochschule für Musik. Es unterschied sich, wie Herchet bald feststellen musste, nur unwesentlich von dem in der Dresdner Hochschule. Herchet versuchte Rudolf Wagner - Régeny als Lehrer für sich zu gewinnen, was ihm auch anderthalb Jahre vor dessen Krankheit und Tod gelang.
Sein letzter Lehrer an der Berliner Hochschule für Musik war Wolfgang Hohensee, mit dem Herchet ähnliche fachlichen Konflikte erlebte, wie in Dresden bei Thilman und Griesbach. In diesem Fall kam es sogar dazu, dass Hohensee dem Studenten Herchet das Examen verweigerte.
1969 kehrte Herchet resigniert nach Dresden zurück. An eine Laufbahn als freischaffender Komponist war selbstverständlich nicht zu denken, hing dies doch nicht unwesentlich davon ab, von öffentlich-staatlichen Stellen Aufträge zu erhalten, was angesichts seiner künstlerisch-politischen Haltung und ohne Examen völlig illusorisch war. Gezwungenermaßen nahm Herchet 1969 für ein Jahr eine Stelle im Buchhandel an. Gleichzeitig erhielt er Orgelunterricht bei Gerald Stier und Herbert Collum.
Noch 1969 wandte sich der damals 27-jährige unter Vermittlung Paul Heinz Dittrichs an Paul Dessau und begann ein Meisterschülerstudium an der Akademie der Künste. Erst bei Dessau gelang es Herchet seine eigenwilligen kompositorischen Vorstellungen zu verwirklichen. Dieser räumte seinem Schüler größtmögliche Freiheiten ein, was Herchet anfänglich auch verunsicherte. Die normalerweise auf zwei, höchstens drei Jahre angelegte Meisterschülerausbildung an der Akademie der Künste, vermochte Dessau bei Herchet noch um ein weiteres Jahr zu verlängern, so dass Herchets Meisterschülerzeit bis 1974 dauerte.
Obwohl es ihm unmittelbar nach seinen Lehrjahren bei Paul Dessau gelang, verschiedene kompositorische Projekte zu verwirklichen , waren die nächsten Jahre eine Zeit des Suchens und Wartens. Herchet erreichte zwar ab 1980 durch die Vermittlung von Dr. Reich, dem Leiter der Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek, dass einige seiner Werke im Westdeutschland aufgeführt wurden, was eine Seltenheit in den damaligen Zeiten war und bis dato Udo Zimmermann vorbehalten blieb. Die erhoffte Anerkennung in seiner unmittelbaren Umgebung blieb weitgehend aus. Nicht zuletzt deshalb, weil Herchet sich weigerte, dem „Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler“ beizutreten.
Eine wichtige Station im Kontakt mit der europäischen Musikszene war das Komponisten-Seminar in Boswil (Schweiz), wo Herchet ab 1980 mehrere Studienaufenthalte verlebte. Seither ist er bei führenden Musikfestivals vertreten und zählt namhafte Spezialisten zeitgenössischer Musik zu seinen Interpreten.
Erst 1981, nach der Donaueschinger Uraufführung seiner Komposition für Posaune, Bariton und Orchester, konnte er einen Lehrauftrag für Tonsatz an der Dresdner Musikhochschule übernehmen. 1984 kam das Fach Komposition hinzu. Die zunehmende Resonanz führte zu bedeutenden Kompositionsaufträgen u. a. aus der Bundesrepublik Deutschland, den USA und Mexiko, wogegen ihm die Wirkungsbasis im eigenen Land in den 80er Jahren mehr und mehr entzogen wurde.
An der Evangelischen Kirchenmusikhochschule Halle ist er seit 1984 als Gastdozent für Komposition und Analyse tätig.
1988 war er Dozent beim Internationalen Darmstädter Ferienkurs für Neue Musik und beim Geraer Ferienkurs. 1989 gab er Kompositionskurse und Analysekurse zu neuer Musik und zum Schaffen von Johann Sebastian Bach in Mexiko Stadt. 1990 wird er Dozent für Komposition an der Dresdner Musikhochschule und 1992 erfolgt die Berufung zum Professor .
1993 erhielt er den Internationalen Bodensee-Kulturpreis für Musik. Seit 1995 ist er Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste.
Eine umfangreiche Vortragstätigkeit vor allem über sein eigenes Schaffen führte ihn auch in andere Länder. 1992 hielt er u.a. Vorträge in Tokio sowie 1998 und 1999 in den USA.
Jörg Herchet emeritierte 2009 als Hochschullehrer und lebt heute in Weinböhla.
Jörg Herchet bei Wikipedia
Jörg Herchet bei der Sächsischen Akademie der Künste