Vorführraum – Von Filmrolle bis Selbstschnittfolie

Schatzinseln

Fast 40 Archive aus ganz Sachsen haben am SAVE-Programm bislang teilgenommen. Große Sammlungen von nationalem Rang sind ebenso mit dabei wie Gemeinde- oder Familienarchive. Oftmals unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen, nicht selten nur von einer Person betrieben, leisten diese lokalen Erinnerungsorte Unersetzliches für die Bewahrung und Überlieferung von Alltags- sowie ortsbezogener Kultur. Teure, personalaufwändige Digitalisierungsmaßnahmen sind für die meisten von ihnen aus eigener Kraft nicht zu stemmen. Damit sind insbesondere audio-visuelle Zeugnisse kaum nutzbar oder altersbedingt von unwiederbringlichem Verlust bedroht. SAVE leistet Unterstützung dabei, dass Filmrollen, Videokassetten und Tonspulen erstmalig seit langer Zeit für Archivar*innen wieder einsehbar und erschließbar sind, um sie digitalisiert für die breite Öffentlichkeit zugängig zu machen.

Zu den Archiven und Sammlungen s. Liste rechts

 

Analoge Artefakte

Audiovisuelle Medien durchlaufen in der analogen Produktion und Präsentation zahlreiche technische Prozesse. Bild- und Tonträger habe eine enge, bisweilen sehr enge Berührung mit den Geräten, das photochemische Trägermaterial verändert sich stofflich und in der Form je nach Lebensalter und Lagerbedingung. Diese variablen technischen Rahmenbedingungen oder gar technische „Fehler“ können mitunter erstaunliche Effekte im Filmbild hervorrufen. Geräte und Filmmaterial schreiben so unabsichtlich an der Erzählung mit und werden in gewisser Weise selbst zu einem Bild.

Reproduktion aus „Das schaffende Borna” (1938)
Original Museum der Stadt Borna

Wärme und Feuchtigkeit lösen unumkehrbare Zersetzungsprozesse bei Filmen auf Nitrozellulosebasis aus. Sie führen zu Solarisation und organischen Gebilden im Filmbild. Der Effekt betont auf unerwartete Weise das haptische Erlebnis, das ein Werbefilm für Damenstrumpfwaren seinem Publikum vermitteln möchte.

 

Reproduktion „450 Jahre Marienberg 1521–1971, Feierlichkeiten, Festumzug” (1971)
Original Stadtverwaltung Große Kreisstadt Marienberg – Stadtarchiv (C 2 IV 5 c)

Der Film verhakt sich im Vorführgerät und verschmilzt in der Hitze der Projektorlampe. Ein bernsteinfarben umrandetes Loch im Bild entsteht und bringt die Sängerin visuell zum Schweigen.

 

Reproduktion „Privataufnahmen der Familie Gamnitzer aus dem Jahr 1961” (1961)
Original
SLUB Dresden, Nachlass Erich Gamnitzer

Eine ungewollte Doppelbelichtung von Filmmaterial überlagert zwei Handlungen – ein Junge mit Mantel und Holzschwert attackiert einen Schulanfänger. Im wirklichen Leben hat diese Begegnung so nie stattgefunden.

 

Lebendige Bilder

Handliche Filmtechnik im Lauf der Zeit: Schon in den 1920er Jahren bieten die Kamerahersteller leichte 35mm-Film-Geräte für den Heimgebrauch an. Später dominiert die kostengünstigere 16mm- und 8mm-Schmalfilmtechnologie. Ab den 1980er Jahren verdrängt das Video die photochemische Technologie. Eine Kamera allein macht noch keinen Film: Grundsätzlich durchläuft ein in heimischer Handarbeit gefertigter Film dieselben Herstellungsschritte wie eine teure Studioproduktion. Demzufolge entsteht ein Markt für Filmklebepressen, Filmkassetten und zahlreiche andere Hilfsmittel. Sachsen ist im 20. Jahrhundert ein bedeutender Produktionsstandort für Filmkamera- und Kinotechnik. Firmen wie z.B. Ernemann, Zeiss-Ikon und Pentacon nähren und befriedigen den wachsenden Bedarf privater und professioneller Akteur*innen.


Objekte in der Ausstellung:

35mm-Filmkamera Kinamo N25, 1926, Zeiss Ikon AG
In Dresden entwickelt der Ingenieur Emanuel Goldberg 1921 für die ICA Dresden die Amateurkamera „Kinamo” (= ich liebe Film). Anders als Kameras, die zuvor mit einer Handkurbel betrieben wurden, ermöglicht ab 1923 der Federwerkantrieb gleichmäßige Bewegungsaufnahmen.

16mm-Filmkamera Movikon 16 #5495, 1936, Zeiss Ikon AG

Laufbildbetrachter mit Filmumroller, undatiert, Zeiss Ikon

8mm-Filmkamera Pentaka 8B, 1960, VEB Kamera- und Kinowerke
1956 folgte die Pentaka 8 der zwei Jahre zuvor eingeführten und weit verbreiteten AmateurKamera AK 8. Sie bot u.a. zusätzlich Wechselobjektive und einen Frequenzbereich von 8 bis 48 Bilder/Sekunde.

Nassklebe-Set für 8mm-Film, mit Klebepresse, Filmkitt, Feile und Pinsel, undatiert, VEB Feingerätewerk Weimar

Videokamera SABA PRO 8100, 1993, Schwarzwälder Apparatebau-Anstalt August Schwer und Söhne (SABA)


Leihgaben und Abbildungen Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlungen

 

Heimkino

Der Fotograf Hellmuth Kotte aus Pirna-Copitz begleitet ab 1938 mit einer „Agfa-Movex 8“-Kamera das Familienleben. Vorgeführt werden die Filme zu Hause mit diesem Stummfilm-Projektor „Agfa Movector 8”, den die Firma Agfa von 1938 bis 1944 produzierte.
SLUB Dresden, Nachlass Hellmuth Kotte und Helfried Kotte

Fünf Jahre nach Einführung des 8mm-Filmformats durch die Firma Kodak beginnt der Fotograf Erich Gamnitzer nachweislich 1937 in Zwickau mit privaten Filmaufnahmen. Die stummen Zeugnisse des Familienlebens sind in Sammelmagazinen chronologisch archiviert und detailliert auf Begleitzetteln dokumentiert.
SLUB Dresden, Nachlass Erich Gamnitzer

Die Projektionsleinwand „Duo-Stella” lässt sich mittels Federn praktisch in einem Transportkoffer zusammenrollen. Sie wurde zwischen 1930 und 1949 von der Mechanischen Weberei GmbH (MW) in Bad Lippspringe – damals vermutlich Europas größter Hersteller von Leinwänden dieser Art – produziert. 
Leihgabe Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlungen, TSD_23939

 

Lebendiger Ton

Das analoge sächsische Ton-Erbe ist mehrheitlich auf Magnetband – auf Spule, Spulenkern oder Audiokassette – überliefert. Eine Besonderheit bildet demgegenüber die Selbstschnittfolie und -platte, die vor der Verbreitung des Tonbands im Heimbereich (ab den frühen 1950er Jahren) in Deutschland ein zentrales Speichermedium für private Audioaufzeichnungen ist. Genutzt wird sie in Form von Sprechbriefen, für Aufnahmen im Kreis der Familie oder für Mitschnitte beliebter Melodien aus dem Rundfunk – gewissermaßen als Vorläufer des Mixtapes auf Audiokassette, wie auch der Sprachnachricht in der heutigen digitalen Kommunikation.

Objekte in der Ausstellung:

Selbstschnittfolie Decelith L mit Privataufnahmen von Erich Adler, 1950
SLUB Dresden, SNP B 38556

Draloton-Platten haben eine Aufnahmedauer von drei Minuten je Seite. Für einen lückenlosen Mitschnitt des Konzerts „Der Heiland: Oratorium op. 50“ von Walter Böhme 1932 in der Peter-Paul-Kirche zu Reichenbach waren 36 Plattenseiten und mindestens zwei Aufnahmegeräte zum Plattenwechsel notwendig.
SLUB Dresden, Nachlass Walter Böhme

In den 1930er Jahren kommen zu den Fotoautomaten im öffentlichen Raum Aufnahmekabinen für Ton hinzu. Mit diesem Sprechbrief auf einer Selbstschnittplatte der Deutschen Photomaton-Gesellschaft sendet „Joachim“ von einer Reise im Ötztal Geburtstagsglückwünsche an seine Mutter.
SLUB Dresden, Fon-SNP-B 38520

Unter der Bezeichnung „Wuton” (= Wort und Ton) stellt die Firma H.A.H. Schüler in Wurzen nachweislich spätestens ab 1935 Aufnahme-Wiedergabe-Apparate für Schallplatten her. Neben Zweiteller-Apparaten für den professionellen Bereich gibt es den einfachen Wuton Simplex (ca. 1938).
Leihgabe Schallarchiv C. P. Gallenmiller

Der Lehrer Erich Adler nimmt 1950 in Reichstädt die Familie und aus dem Rundfunk auf. Inmitten des komplexen technischen Aufbaus: ein „Wuton-Doppel-Tonschreiber“, bei dem das zweite Plattenlaufwerk fehlt. Als ausgebildeter Feinmechaniker baut sich Erich Adler zudem ein eigenes Kondensatormikrofon. (Reproduktion Fotonegativ Erich Adler, Bild oben)
SLUB Dresden, Bestand Familie Adler

 

Lebendiges Material

Film- und Tonaufnahmen enthalten Botschaften der Vergangenheit an die Zukunft. Ihre eigene materielle Zukunft ist jedoch beschränkt. Verglichen mit Papier sind Film, Magnetband und Schallfolie aufgrund ihrer chemisch-physikalische Eigenschaften weitaus sensibler gegenüber klimatischen Einflüssen. Abweichungen von der benötigten Luftfeuchte und Temperatur lösen – zumeist unumkehrbare – Zersetzungsprozesse aus. Die Botschaften werden „unlesbar“. Erschwerend kommt beim Erhalt von Film- und Tonträgern hinzu, dass diese oft aus unterschiedlichen stofflichen Komponenten mit voneinander abweichenden klimatischen Bedürfnissen bestehen. Aus diesen Gründen überschreiten einige „Botschafter der Vergangenheit“ nur unwesentlich das Alter der Menschen, von denen sie berichten.

Selbstschnittplatte der Marke „Saxolith“ von der Dresdner Firma Rudolf Reim mit einer Aufnahme von 1938
Das dünn aufgetragene Schichtmaterial aus Zellulose und Kunstharz löst sich vom Träger aus Zink. Grund dafür sind Oberflächenspannungen im Schichtmaterial, wo keine Tonaufnahme-Rillen geschnitten sind.
Leihgabe Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlungen, MDSD 20200505_3

Gelatine-Schallfolie mit dem Label einer Alu-Pliahphon-Platte und einer Aufnahme von 1935
Gelatine-Folien ziehen Feuchtigkeit an, die zur Verformung führt. Die Folie liegt nicht mehr plan auf dem Plattenteller auf und ist damit unspielbar.
Leihgabe Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlungen

Im Zersetzungsprozess von Trägermaterial auf Nitrozellulose-Basis („Nitro-Film") – hier Beispiele aus den Jahren 1928 und 1938 – bilden sich Gase, die die Emulsionsschicht auf dem Filmträger angreifen. Die Filmbilder verblassen, kristallisieren und werden braun (s. Beispiel Vitrine gegenüber). Im Spätstadium weicht das Material auf, die Filmlagen auf der Rolle verschmelzen und verklumpen zu einer Masse, die dann verhärtet.
Bild: Manuel Laudien

 

Schätze - wieder sichtbar, wieder hörbar

Die Digitalisierung analoger Film-, Video- und Tonbestände ermöglicht Sammlungen, diese wieder zugänglich zu machen: vor Ort am elektronischen Leseplatz, bei Veranstaltungen und international in Online-Portalen ohne Öffnungszeiten. Für Medien mit Altersschäden bedeutet die digitale Langzeitarchivierung die Sicherung von Bildern und Tönen.

Im SAVE-Programm wurden bislang 85.000 Minuten Film, Video und Ton digitalisiert. Alle Rollen, Spulen und Kassetten ergeben lückenlos gestapelt einen Kubikmeter an Medien. Ihr digitalisierter Inhalt entspricht einem Datenumfang von 95 Terabyte, die auf sieben LTO-Speicherbändern Platz finden. Der Erhalt intakter analoger Originale ist dennoch ein zentrales Ziel. Denn das digitale Abbild ist ein gewandeltes Format und muss seine Zukunftsbeständigkeit noch beweisen.