Press release
Moderne Gefühle – Neue Ausstellung der Deutschen Fotothek in der SLUB Dresden zeigt Fotografien von Ingolf Thiel 1975-1985
Am 2. November 2022 eröffnet in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) eine neue Ausstellung der Deutschen Fotothek, die anschließend bis zum 25. März 2023 zu sehen ist. In einer großen Retrospektive wird das Werk des Fotografen Ingolf Thiel (1943–1985), der 2023 80 Jahre alt geworden wäre, erstmals umfassend gewürdigt.
An drei Orten in der SLUB zeigt die Deutsche Fotothek, die seit 2017 den Nachlass des früh verstorbenen Fotografen bewahrt, sein Werk in all seinen Facetten. In der Corty-Galerie stehen in rund 100 Fotografien seine frei entstandenen Fotoserien und -montagen ebenso im Zentrum wie seine genreübergreifenden Arbeiten für Ballett und Film. Die Präsentation in der Cafeteria Bib-Lounge widmet sich seiner wahrscheinlich bekanntesten Werbekampagne für Mustang-Jeans, die zwischen 1981 und 1983 in den westdeutschen Printmedien nahezu omnipräsent war. Das Bild wird durch die Ausstellung in der Galerie am Lesesaal vervollständigt, die sich auf der einen Seite den Modefotografien Thiels widmet, auf der anderen Seite seine fotografischen Reflexionen zum Bild des Körpers und zur Selbstrepräsentation thematisiert.
Ingolf Thiel zählte Anfang der 1980er zu den innovativsten Werbefotografen in Deutschland, dessen Kampagnen den Look einer ganzen Generation widerspiegelten und gleichzeitig prägten. Seine Aufnahmen waren in vielen großen Magazinen der Zeit zu sehen: Elle, Nora, Linea Italiana, Playboy. Zu seinen Auftraggebern gehörten Unternehmen wie Daimler-Benz und vor allem große Modelabels wie Breuninger, Bleyle, Schöller oder eben Mustang-Jeans. Nach seinen Anfängen in verschiedenen Fotostudios machte sich Thiel 1975 mit einem eigenen Studio selbstständig und wurde schnell zum gefragten Werbefotografen. Seine vom Zeitgeist inspirierten Inszenierungen und seine Authentizität trafen das Ansinnen der Auftragnehmer, ihre Produkte mit cooler Haltung und frischem Humor zu vermarkten.
»Es ist für mich wichtig, bei der Konzeption einer Anzeigenkampagne dabei zu sein. Und dann muß ich auch zu dem Produkt eine Beziehung haben; ich könnte nie für etwas, was ich verabscheue, ein Werbefoto machen.«
(Ingolf Thiel in einem Beitrag in ZOOM. Magazin für visuelle Kreativität, September 1983)
Ingolf Thiel hatte nach einer Lehre als Schaufenstergestalter in Stuttgart bei Franz Lazi (1922-1998) eine Lehrstelle zum Fotografen angetreten, »aus einer Laune heraus« (Interview in Calwer Time, 1981) hatte er sich bei dem renommierten Industrie- und Werbefotografen beworben. 1967 schloss er die Ausbildung – als Bundessieger – mit Auszeichnung ab.
Schon während der anschließenden Anstellungen in verschiedenen Studios war es ihm wichtig, immer auch freie Arbeiten verfolgen zu können. Zunächst war vor allem die Fotomontage das Mittel der Wahl, um Bildideen umzusetzen. Ende der 1970er Jahre, spätestens mit seiner New York-Reise 1979, wandelte sich Thiels Zugang zu den Motiven, seine Arbeiten werden in gewisser Weise fotografischer. In New York hatte die aufkommende New Wave den Fotografen nachhaltig in ihren Bann geschlagen. Es entstand seine erste konzeptionelle Schwarzweiß-Serie »Heimweh nach dem Traurigsein«, melancholisch-coole Bilder, die den desillusionierten Grundton der No Future-Bewegung von Punk und New Wave inszenierten. In den Folgejahren entstanden weitere Serien. Vor allem »Moderne Gefühle« (1978-1984), seine umfangreichste und am längsten verfolgte Serie, spiegelt den Zeitgeist der beginnenden 1980er Jahre zwischen Coolness und Desillusion angesichts von Wirtschaftskrisen, Umweltproblemen, individueller Isolation und gesellschaftlichen Dissonanzen treffend wider. Die Reflexion der hochgestylten Werbeästhetik der Zeit geriert zu einer »Schönheit mit Widerhaken«.
Faszinierend an Ingolf Thiels fotografischen Arbeiten ist die auffällige Konvergenz von Motivkanon, Ästhetik und Stilmitteln in seinen angewandten und freien Fotografien: gleichermaßen verdichteter Ausdruck und Reflexion von Zeitgeist.
Doch Ingolf Thiel nur als Fotografen vorzustellen, griffe bei weitem zu kurz. Er war ebenso Kostümbildner, Schauspieler, Balletttänzer und Modedesigner. Eine tiefe Liebe verband ihn mit dem Ballett. 1973 hatte er am Stuttgarter Theater William Forsythe kennengelernt. Ende der 1970er Jahre begann eine intensive Zusammenarbeit mit dem Choreografen. Thiel wirkte bis 1983 als Tänzer und Ausstatter an drei skandalträchtigen Produktionen Forsythes mit. Höhepunkt war dabei sicher die Inszenierung »Gänge. Ein Stück über Ballett«, das Forsythe ab 1982 für die Frankfurter Oper entwickelte. Thiel gestaltete für die Aufführung Kostüme und begleitete die über ein halbes Jahr andauernden Probearbeiten fotografisch. In dieser Zeit entstanden auch vier Filme, in denen Thiel als Schauspieler mitwirkte. Seine Freude am Schauspielern hatte er bereits Ende der 1970er Jahre als Mitglied der Performance-Gruppe ›famili‹ entdeckt. Nicht zuletzt seine zahlreichen Selbstporträts, etwa die Serie »Anzuggeschichten«, zeugen von seiner Freude an der Selbstdarstellung vor der Kamera.
Ingolf Thiel, Multitalent, Workaholic, Fotograf, scheint die ganze Dynamik seiner Zeit, zwischen Punk und Do it Yourself, zwischen Selbstverlust und Coolness, in einer Person aufgesogen zu haben. Anfang der 1980er Jahre verfolgte er in rasend kurzer Zeit die vielfältigsten Projekte für Auftraggeber, Bühne, Film und seine eigenen Arbeiten. Anfang 1985 reiste er zum Fotografieren nach Lanzarote, die Idee für eine neue Serie verfolgend. Seine zusehends angeschlagene Gesundheit zwang ihn jedoch zur vorzeitigen Heimreise, in ein Stuttgarter Krankenhaus. Thiel starb am 16. März 1985. Eines seiner Selbstporträts, 1981 für die Mustang-Kampagne aufgenommen, tourte zu dieser Zeit in einer Ausstellung des Bundes Freier Foto-Designer (BFF) bereits für einige Jahre um den halben Globus.
Über zwei Jahrzehnte später erinnerte sich Weggefährtin und Freundin Ulla Rogalski an Thiels Fotografien, nahm Kontakt zu seiner Schwester auf. Es entstand die Idee, den Nachlass zu ordnen und zugänglich zu machen. Durch Vermittlung der Stiftung F. C. Gundlach gelangte das umfangreiche Werk an die Deutsche Fotothek. Seit 2017 ist der Stuttgarter Fotograf im Archiv der Fotografen vertreten.
Pressebilder zum Download:www.slubdd.de/bilderthiel
Weiterführende Informationen:
Führungen:
- Mittwochsführungen jeweils 17 Uhr am 23.11., 14.12.2022 sowie 25.1., 22.2. und 15.3.2023
- Samstagsführungen jeweils 15 Uhr am 14.1. und 18.2.2023
- Kurator:innenführungen am 10.2.2023 um 18:30 Uhr sowie 2.3.2023 15:00 Uhr
Begleitveranstaltungen
- 7.12.2022, 19:00 Uhr, Klemperer-Saal SLUB Dresden: „Moderne Gefühle. Der Fotograf Ingolf Thiel“ – Vortrag der Kurator:innen Jens Bove und Simone Fleischer und Vorstellung des Ausstellungskataloges
- 19.1.2023, 19:00 Uhr, Klemperer-Saal SLUB Dresden: Lesung „Sound und Geist um 1980“ mit Jens Balzer
- 16.2.2023, 19:00 Uhr, Klemperer-Saal SLUB Dresden: Filmabend „Inflation im Paradies“
- 9.3.2023, 19:00 Uhr, Klemperer-Saal SLUB Dresden: „Der Tanz Mechanikk – Ingolf Thiel und der Film“, Regisseur Rolf S. Wolkenstein im Gespräch mit Simone Fleischer
Alle Begleitveranstaltungen im Überblick unter www.slubdd.de/thielbegleitprogramm
Zur Ausstellung erscheint im Sandstein Verlag ein Katalog (ISBN 978-3-95498-716-0, 28 €)
Ingolf Thiel im Archiv der Fotografen der Deutschen Fotothek: http://www.deutschefotothek.de/documents/kue/90074309
Kontakt
Annemarie Grohmann
Pressesprecherin SLUB Dresden
Telefon: +49 (0)351 4677-342
E-Mail: Annemarie.Grohmann@slub-dresden.de