Schmähgemeinschaften & Feindbilder
Die Herabsetzung von politischen, religiösen und sozialen Gruppen kann Gemeinschaften begründen, die sich überhaupt erst durch die Beteiligung an Schmähungen bilden. Solche Schmähgemeinschaften verleihen dann ihrerseits den Herabsetzungen Gewicht. Sie entwickeln ihre eigene Dynamik, weil sie auf Wiederholung und Überbietung angelegt sind: Die noch schärfere Verspottung, die noch drastischere Beleidigung, die noch verletzendere Äußerung stabilisieren solche ansonsten fluiden Gemeinschaften. Auf diese Weise werden Feindbilder nicht nur produziert, sondern befeuert und verfestigt.
Kommunikative Muster der sprachlichen Herabsetzung von Personen und Gruppen sind dabei durch eine lange Tradition vorgeprägt. Schon die antike Rhetorik stellte ein invektives Arsenal bereit. Die öffentliche Schmähung des Gegners kann Anhängerschaft formieren, mobilisieren und stabilisieren. Ebenso dient sie der eigenen Profilierung und Absicherung. All dies lässt sich besonders eindrücklich in der Reformationszeit beobachten, die als eine „Epoche der Invektivität“ bezeichnet werden kann. Wechselseitige Schmähungen und Diffamierungen waren keine singulären Entgleisungen, sondern markierten den Modus der Auseinandersetzung im neuen Medium der Flugschrift. Unversöhnlichkeit bestimmte aber auch die Wahlplakate der Weimarer Republik: Politische Auseinandersetzung wurde als kriegerischer Akt inszeniert und aus politischen Kontrahenten wurden feindliche Lager.
Die Effekte öffentlicher Hasskommunikation scheinen durch Reichweite und Schnelligkeit der digitalen Medien noch gesteigert zu werden. Soziale Netzwerke bieten einen besonders fruchtbaren Boden für Invektivität: Ihre Strukturen verlangen förmlich nach herabsetzenden Äußerungen, die Aufmerksamkeit garantieren und Bestätigung in der eigenen Schmähgemeinschaft generieren. So stellt sich die Frage, ob wir aktuell ein „neues Zeitalter der Invektivität“ erleben.
Gegen-Lügen. Der interkonfessionelle Streit um die Heiligen im 16. Jahrhundert