Antirömische Invektiven

Albrecht Dröse, Marius Kraus: Kat. Nr. 32–38

Der reformatorische Konflikt entzündete sich im frühen 16. Jahrhundert auch an der Frage des Verhältnisses zu Rom, wobei ‚Rom‘ nicht nur räumlich das Zentrum der europäischen Christenheit bezeichnet, sondern metonymisch für die politische Strategie und die ökonomischen Praktiken der Kurie und des Papstes stehen. Rom als Feind zu begreifen und dementsprechend zu schmähen, hat eine längere Vorgeschichte. Sie knüpft an den besonderen historischen und symbolischen Status der ‚ewigen‘ Stadt (urbs aeterna) an. Hinzu kommt die spezifische Konstitution päpstlicher Herrschaft im lateinischen Westen und die daraus resultierenden Spannungen zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft, die im Heiligen Römischen Reich von besonderer Brisanz gewesen sind.

 In dieser konfliktiven Konstellation prägte sich eine Topik aus, die Rom Arroganz, Fremdherrschaft, Tyrannei und insbesondere Habgier (avaritia romana) zuschrieb, um die päpstliche Politik zu delegitimieren. Wenn sich die lutherische Partei als antirömische Opposition inszenierte, konnte sie also an diverse romfeindliche Diskurse anknüpfen.

Eine wichtige Rolle spielten etwa die Gravamina nationis germanicae, die seit 1450 immer wieder erhobenen Beschwerden der deutschen Stände über die Ausbeutung durch die Kurie (Kat. Nr. 32). Die anonyme Trias Romana von 1518/19 (Kat. Nr. 33), eine Spruchsammlung über die ‚römische Dreifaltigkeit‘, richtet dagegen den Blick auf Rom selbst: In insgesamt 58 dreigliedrigen Sprüchen werden die Verweltlichung der Kurie und die Kommerzialisierung religiöser Praktiken verspottet, der abschließende Epilog ruft in einem apokalyptischen Gestus zur radikalen Umkehr auf.

Zahlreiche namhafte Poeten und Gelehrte schlossen sich der antipäpstlichen beziehungsweise antikurialen Opposition an. So etwa der fränkische Humanist Ulrich von Hutten, der mit seinem Dialog Vadiscus sive Trias Romana Titel und Form der satirischen Merksprüche der Trias Romana aufgriff. In einem fingierten Dialog mit einem Freund namens Ernhold  erläutert Hutten diese Merksprüche und schreibt sie einem als Romkenner ausgewiesenen Vadiscus zu. Die Vergegenwärtigung von „Mißleben, Übermut und Tyrannei“ der Römer führt bei Ernhold schließlich zu einem Zornesausbruch und der Forderung, diesem Treiben endlich Einhalt zu gebieten. Huttens Text erschien 1520 zunächst im Rahmen seiner lateinischen Dialogi (Kat. Nr. 34) und in der deutschen Übersetzung 1521 im Gesprächsbüchlein(Kat. Nr. 35). Sowohl die anonyme Trias Romana als auch Huttens Vadiscus wurden im 16. Jahrhundert mehrfach nachgedruckt.

Ganz ähnlich argumentiert auch Martin Luther in seiner Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung vom August 1520 (Kat. Nr. 36). Er hebt jedoch die antirömische Invektive auf eine theologische Ebene: Die für die mittelalterliche Kirche grundlegende Unterscheidung von Klerikern und Laien wird als ‚Erfindung‘ der „Romanisten“ gekennzeichnet; eine Regulierung der römischen Kirche durch die weltliche Obrigkeit sei demnach nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten. Hinter der Herrschaft der „Romanisten“ aber steht, so Luther, der Antichrist selbst.

Der Topos von der römischen Tyrannei bildet auch in Luthers De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium vom Oktober 1520 (Kat. Nr. 37) das Leitmotiv. Luther beschreibt hier die geltende sakramentale Ordnung als Gewissenszwang und als Form der Gefangenschaft, der er den Begriff der christlichen Freiheit gegenüberstellt, die allein im persönlichen Glauben (sola fide) gründe. Damit weist er jeglichen Anspruch klerikaler Heilsvermittlung ab. Ob Hutten diese theologische Konsequenz mitvollzogen hat, ist ungewiss, dennoch beklagt er im Oktober 1520 in seiner gereimten Klag und Vermahnung (Kat. Nr. 38) ebenfalls die übergriffige und „unchristliche Gewalt“ des Papstes. In 1578 Reimpaarversen liefert er eine konzentrierte Zusammenschau all seiner Vorwürfe gegen die vorgebliche Ausbeutung Deutschlands durch Rom und den Niedergang der Kirche. Der letzte Vers schließt mit seinem persönlichen Motto: „Ich habs gewagt, das ist mein reim.“