Profilierung durch Schmähreden im alten Rom

Hanna Maria Degener: Kat. Nr. 60–64

Im alten Rom waren öffentliche Schmähreden, etwa in Gerichtsprozessen auf dem Forum als dem gesellschaftlichen Zentrum der Stadt, ein regelmäßiger Begleiter der politischen Auseinandersetzungen. Hier war der Zugang nicht reglementiert und es konnten neben den unmittelbar Beteiligten auch Parteigänger sowie alle an einem Fall Interessierten dem Prozess beiwohnen. Es war vorteilhaft, dieses Publikum mittels invektiver Rede für sich zu gewinnen und gegen die andere Seite aufzuwiegeln (Kat. Nr. 61). Um eine Schmähgemeinschaft zu begründen, wurden Klienten und Freunde dazugebeten oder im Vorfeld Claqueure angeworben, um lautstark für eine der Seiten Partei zu ergreifen.

Das invektive Arsenal der Gerichtsreden zielte auf die vollständige Diskreditierung des Gegners sowie der von ihm aufgerufenen Zeugen (Kat. Nr. 62;63). Die Angriffe richteten sich deshalb gegen die Person in ihrer gesamten Erscheinung und Lebensführung: äußere Merkmale, Auftreten, Herkunft, Beruf, Charaktereigenschaften, Moralvorstellungen, angebliche Sexualpraktiken und auch das soziale Umfeld. Ankläger und Verteidiger konnten in diesem Rahmen über besonders ausgefeilte, spektakuläre oder neuartige Herabsetzungen überdies persönliches Ansehen erlangen und sich so für eine weitere Karriere profilieren, wie das Beispiel Ciceros zeigt.

Eine weitere Form invektiver Rede, die der eigenen Profilierung dienen konnte, war das Schmähgedicht. Auch dieses wurde öffentlich, also vor Publikum vorgetragen. In einer ersten Fassung wurden diese Texte zunächst Freunden oder anderen Dichtern vorgestellt. Sie dienten auch der Unterhaltung bei Gastmählern und Symposien. Zum Teil wurden solche Gedichte durch professionelle Sänger auf der Bühne aufgeführt und so einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Denkbar ist auch, dass eine gestische Untermalung des Textes während der Darbietung erfolgte. Bekannt sind etwa Catulls Schmähgedichte, die sich unter anderem gegen prominente Persönlichkeiten wie Caesar oder Pompeius richteten.

Das hier zu hörende Schmähgedicht des Catull gibt sich als Reaktion auf eine vorangegangene Beleidigung aus (Kat. Nr. 64). Der Dichter greift die Unterstellung auf, er sei ebenso verweichlicht wie die Verse seiner Kussgedichte. Diese in der römischen Antike geläufige Beleidigung dreht er gekonnt um. Dabei spricht er seinen Widersacher in einer fingierten face-to-face-Situation direkt an. Die explizite Formulierung, die das Gedicht für die Zuhörer so eindrücklich machte, sorgte dafür, dass lange Zeit keine englische Übersetzung des Textes angefertigt wurde.