Entschlüsselung durch Förstemann und Schellhas

Jahrzehntelang verband den Oberbibliothekar und Germanisten Ernst Wilhelm Förstemann (1822-1906) mit dem Juristen Paul Schellhas (1859-1945) das gemeinsame Interesse an der Entzifferung der Maya-Handschrift. Davon zeugt der intensive Briefwechsel, der bisweilen sogar eine wöchentliche Korrespondenz umfasste. Als Förstemann altersbedingt nach Berlin zog, wo Schellhas als Richter am Amtsgericht Charlottenburg arbeitete, waren es nur noch Postkarten, die beide verschickten, denn sie trafen sich bis zu Förstemanns Tod regelmäßig zu „Maya-Nachmittagen“.

Förstemann und Schellhas trugen durch ihre Forschungen entscheidend dazu bei, dass wichtige Teile des Codex Dresdensis entschlüsselt werden konnten. Während Schellhas 30 Maya-Götter und ihre Namenshieroglyphen identifizierte, gelang Förstemann unter Heranziehung von de Landa´s Zahlen, Tagen und Monaten die Entzifferung der astronomischen Berechnungen und des Maya-Kalenders sowie die Entdeckung der langen Zählung mit ihrem Nulldatum.

Ernst Wilhelm Förstemann (1822-1906)
Ölgemälde 1882 von Julius Scholtz (1825-1893)

SLUB

Als Oberbibliothekar leitete Förstemann 1865-1887 die königliche öffentliche Bibliothek in Dresden. Der Verfasser des „Altdeutschen Namenbuches“ (1856-1859) hat sich große Verdienste um die kalendarische und astronomische Erschließung der Dresdner Maya-Handschrift erworben.

Auf seinem Schreibtisch, vor dem er steht, ist rechts unten ein Blatt aus der von ihm 1880 veröffentlichten Faksimileausgabe des Codex Dresdensis zu sehen.

Förstemann identifizierte verschiedene Abschnitte des Dresdner Codex: „Meine Zahlen haben mir nun ferner den Gedanken gebracht, von dem ich mich nicht losmachen kann, daß Codex A (1 – 45) Ritual-calendarischen, Codex B (46 – 74) astronomischen Inhalts ist, diese großen Zahlen, die auf Seite 51 bis 1578968 steigen, können nur astronomischen Sinn haben.“

Förstemann, dessen Briefe an den viel jüngeren Schellhas stets mit „Verehrter Herr und Freund“ beginnen, dankt ihm für dessen Wünsche zum Erscheinen der „Erläuterungen zur Mayahandschrift“ und fügt eine diesbezügliche Anzeige, wahrscheinlich aus einer Dresdner Zeitung, bei. Er vermerkt stolz, „daß namentlich der Prinz Georg (Bruder des Königs), als er [der Minister] demselben meine Abhandlung überreicht, großes Interesse für die Maya gezeigt habe“.

Viele Briefe enthalten äußerst exakte Abzeichnungen von Schriftpartien des Dresdner Originals. Förstemann ordnet hier die Symbole den einzelnen Blättern zu und erläutert diese:

„Wir sehen in 2 die Sonne, in 7 den Mond, in 4 einen fortrückenden Stern und in 7 vielleicht die Milchstraße …“

Förstemann, Ernst: Erläuterungen zur Mayahandschrift der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zu Dresden.
Dresden: Warnatz & Lehmann, 1886. - Umschlag

SLUB: 23.4.446

Nach dem Erscheinen der Faksimile-Ausgabe der Dresdner Maya-Handschrift 1880 korrigierte Förstemann die Blattzählung des Codex und untersuchte „die Schriftzeichen, den Kalender, die Reihen der Tageszeichen und die Zahlenreihen …“

In seinem Korrekturexemplar vermutet Förstemann in einer handschriftlichen Notiz gegenüber dem Titelblatt, 


„daß der Codex Dresdensis aus dem Besitz des Francisco de los Cobos …, des Staatssekretärs und Schatzmeisters Kaiser Karls V. stamme und von diesem Paulus Jovius, dem Bischof von Nucerino, geschenkt worden sei.“

(Helmut Deckert: Maya Handschrift der Sächsischen Landes-bibliothek Dresden. - Berlin: Akademie-Verlag, 1962)

Diese Seiten beinhalten Förstemanns Beschäftigung mit dem Mond in der Kalenderrechnung der Maya.

Bis ins hohe Alter beschäftigte sich Förstemann mit den Schriften der Mayas und verfasste eine kleine, 7 Teile umfassende Schriftenreihe, zur Entzifferung des Manuskriptes.

 

Schellhas, Paul: Brief aus Berlin vom 7.12.1884 an Ernst Förstemann.
Blatt 2 verso

SLUB: Mscr.Dresd.e.200,VI,1,14

Schellhas vergleicht die ägyptischen Hieroglyphen mit der Maya-Schrift: „die geflügelte Sonnenscheibe erinnert lebhaft an die Darstellung [der Maya] der Sonnenscheibe mit Wolken (?) oder Flügeln.“

 

Schellhas, Paul: Brief aus Berlin vom 1.6.1885 an Ernst Förstemann. 

Blatt 2 recto
SLUB: Mscr.Dresd.e.200,VI,32

“Das Ganze ist eine Darstellung des Himmels, aus dem Regen herabfällt. Die viereckigen Tageszeichen oben bezeichnen das Himmelsgewölbe […] Links darunter hängt die Sonne [Zeichen] Kin mit Wolkenflügeln auf beiden Seiten, rechts in gleicher Weise das Zeichen […]. Wenn nun Kin die Sonne ist, so liegt es auf der Hand, zu vermuthen, dass das andere Zeichen den Mond bedeutet, denn es ist das einzige das neben Kin in dieser Weise vorkommt.“

 

„Die alte Bildung der Mayavölker stand höher als die der Azteken, und sie hatten - als einziges Beispiel in Amerika - eine eigentliche Schrift, eine Hieroglyphenschrift ähnlich der ägyptischen, hervorgebracht, deren Denkmäler leider bis auf die wenigen … Reste untergegangen sind, in der aber, wie die Ueberlieferungen erkennen lassen, eine ganze Literatur bestanden hat.“

Diese Arbeit - aufgeschlagen eine Untersuchung über die Bekleidung der Mayas - verdeutlicht, dass Schellhas` Sachkenntnis weit über die Codices hinausging und sich beispielsweise mit der Darstellung auf Reliefs oder Tonfiguren beschäftigte.