Das Fremde im Spiegel des Eigenen: Lernen über ‚Andere‘

Youmna Fouad, Mei-Chen Spiegelberg, Lena Lang: Kat. Nr. 7–9

Wie lernen Menschen etwas über ‚Fremde‘? Woher stammt das Wissen über die ‚Anderen‘? Und wird nicht der ‚Andere‘ durch eine vergleichende Darstellung zum ‚Eigenen‘ überhaupt erst erzeugt? Ob Spielzeug, Lehrmaterial im Integrationskurs für Geflüchtete und Migrant*innen oder Ratgeberliteratur für internationales Führungspersonal – sie alle konstruieren Bilder des Fremden als dem Anderen: wie er aussieht, wie er denkt, wie er sich verhält und welcher Gruppe er zugeordnet werden soll.

Derartige Zuschreibungen erfolgen aus Perspektive der ‚Eigengruppe‘ und grenzen das ‚Andere‘ vom ‚Eigenen‘ ab. Kategorien wie ‚Nationalität‘, ‚Religion‘ oder ‚Region‘ werden mit bestimmten Eigenschaften verknüpft, die dann als Stereotype auf die Angehörigen einer Gruppe Anwendung finden (Hirschauer 2017). Durch die Überbetonung vermeintlich ‚naturgegebener‘ Unterschiede treten gesellschaftliche und politische Dimensionen, die für den interkulturellen Austausch viel wesentlicher sind, in den Hintergrund. Zudem beinhaltet jede Differenzsetzung eine Wertung. Denn natürlich gibt es nicht ‚den Chinesen‘ oder ‚die Syrerin‘. Gerade wenn es um die ‚kulturell Fremden‘ geht, sind Stereotype oft mit Vorurteilen und Wertungen verknüpft, die im Vergleich mit beziehungsweise in Abgrenzung von Vorstellungen über das ‚Eigene‘ (re-)produziert werden (Said 1978): Die Syrerin mit Kopftuch gilt als ‚rückständig‘, der Chinese als ‚fleißig, aber unkreativ‘, die Griechin als ‚faul‘. Derartige Stereotype vollziehen einen Prozess des „Othering“ (Hall 1997; hooks 1996; Spivak 2007), der das Fremde zum ‚Anderen‘ macht und stets von gesellschaftlichen und politischen Machtordnungen bestimmt ist. Solches „Othering“ wirkt auch auf moderne Medien interkulturellen Lernens, die über versteckte Hierarchisierungen globale Ungleichheiten spiegeln.

So operiert das in Integrationskursen verwendete Lehrbuch 100 Stunden Deutschland (Kat. Nr. 8) mit idealisierten Darstellungen Deutschlands und fordert die Lernenden dazu auf, zu diskutieren, was in der ‚eigenen‘ Kultur ‚ganz anders‘ sei. Indem das Ergebnis dieses Vergleichs durch die überhöhende Darstellung der ‚deutschen‘ Kultur bereits nahegelegt wird, werden die Migrant*innen als ‚defizitär Andere‘ mit Pflicht zur raschen Integration in die ‚bessere‘ Kultur positioniert. Darüber hinaus steht die in Integrationskursen repräsentierte Heterogenität der Migrant*innen in sprachlicher, ethnischer und sozialer Hinsicht in eklatantem Gegensatz zu den nationalstaatlichen Homogenitätserwartungen, die solche Kurse prägen und sich unter anderem im monolingualen Unterricht und in der homogenisierenden Kategorisierung der Teilnehmenden als ‚Flüchtlinge‘/Migrant*innen niederschlagen. Aus den einzelnen Kursteilnehmer*innen wird in der Summe die Gruppe der ‚Fremden‘.

Auf der anderen Seite lernen globale Eliten aus reichen Staaten im interkulturellen Training, verschiedene Nationen anhand von Kulturdimensionen (zum Beispiel nach Geert Hofstede: Lokales Denken, globales Handeln; Kat. Nr. 9) miteinander zu vergleichen. Erfahrungen mit ‚fremden‘ Geschäftspartner*innen sollen dabei anhand vorgegebener Skalen ausgewertet werden. Der oder die Einzelne wird dabei auf ihre Nationalität oder ‚Herkunftskultur‘ reduziert und damit negativ ‚kulturalisiert‘. Die Ungleichheit von politischen Machtpositionen und ökonomischen Dispositionen zwischen Staaten, deren Bewohner*innen sowie internationalem Führungspersonal und lokalen Angestellten im Zielland wird hierdurch unsichtbar. Soziale Machtungleichgewichte unterschiedlicher Art werden zugunsten der Annahme einer völlig symmetrischen Kulturdifferenz ignoriert, die wiederum als gegeben zu akzeptieren ist (Busch 2013). Durch die Naturalisierung und Verdeckung globaler Machtungleichheiten werden diese wiederum reproduziert. Vermeintlich beiläufige Herabsetzungen und Abgrenzungen im interkulturellen Training tragen so dazu bei, globale Machtungleichgewichte zu erhalten und diese gegen die potenzielle Irritation aufgrund von transnationalen Arbeitsverhältnissen und grenzüberschreitender Mobilität zu stabilisieren.

Durch derartige Lernmaterialien wird die symbolische Abgrenzung zwischen dem ‚Eigenen‘ und dem ‚Fremden‘ reproduziert und stabilisiert: Die Fremden werden so zu ‚den Anderen‘ gemacht.

Literatur

Dominic Busch: Im Dispositiv interkultureller Kommunikation. Dilemmata und Perspektiven eines interdisziplinären Forschungsfelds, Bielefeld 2013.

Stuart Hall: The Spectacle of the ‚Other‘, in: Ders. (Hg.): Representation. Cultural Representations and signifying practices, London 1997.

Stefan Hirschauer: Humandifferenzierung. Modi und Grade sozialer Zugehörigkeit, in: Ders. (Hg.): Un/doing differences. Praktiken der Humandifferenzierung, Weilerswist 2017.

bell hooks: Sehnsucht und Widerstand. Kultur, Ethnie, Geschlecht, Berlin 1996.

Edward Said: Orientalism, New York 1978.

Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, übers. von Alexander Joskowicz, Stefan Nowotny, Einl. von Hito Steyerl, Wien 2007.