Auge um Auge – Ein Gelehrtenstreit und seine Bilder

Lea Hagedorn: Kat. Nr. 76–78

Eine Möglichkeit, auf Diffamierung und Rufschädigung zu reagieren, ist es, den erlittenen Ehrverlust zu rächen. Für diesen Weg entschied sich der Theologe Friedrich August Hackemann. Seine diversen Stellenwechsel führten ihn um 1728 an den Hof des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. In dem von Konkurrenz und „rauen Männerfreundschaften“ (Clark 2007: XX) geprägten Klima geriet er alsbald mit den Hofgelehrten und „lustigen Räten“ (d.h. Hofnarren) Jakob Paul von Gundling und David Fassmann aneinander. Letzterer griff Hackemann 1735 in seiner Skandalschrift Leben und Thaten des Königs von Preußen heftig an und diskreditierte ihn darin öffentlich. Er habe sowohl die eigenen Studenten als auch den preußischen König betrogen. Für die Karriere sei er überdies zu jedem Konfessionswechsel bereit, sogar dazu, „ein Türk“ zu werden und sich beschneiden zu lassen (Fassmann 1735: 1029).

Der Invektierte reagierte umgehend und bediente sich dabei ebenfalls öffentlichkeitswirksamer Medien: 1736 erschien anonym und mit fingiertem Druckort eine Schmähschrift, deren Frontispiz Fassmann als „Ehren-Dieb“ zeigt, „wie er mit seiner Lästerzunge am Galgen hänget“ (Kat. Nr. 76). Hackemann beabsichtigte offenbar, seinen Peiniger mit dem sozialen Tod, vollzogen durch eine symbolische Hinrichtung, zu bestrafen. Zu diesem Zweck bediente er sich der alten Gattung des Schandbildes (Rößler 2018), welches der mittelalterlichen Rechtspraxis entstammt (Lentz 2004), im 18. Jahrhundert aber längst verboten war.

Damit die eigene Invektive nicht als persönlich motivierte Selbstjustiz, sondern als gebotene Notwehr erschien, rechtfertigte Hackemann sein Vorgehen mit Fassmanns rufschädigendem Verhalten gegenüber dem 1731 verstorbenen Jakob Paul von Gundling. In der Tat war der Gelehrte am preußischen Hof derben Späßen ausgesetzt gewesen: Er wurde in alberne Kostüme gesteckt, sollte einen Affen wie den eigenen Sohn behandeln und in einem Weinfass nächtigen, in dem er nach seinem Tod auch beigesetzt wurde (Sabrow 2001: XX).

Fassmann machte aus dem ‚Mobbingopfer‘ eine Spottfigur, indem er Gundling in mehreren Publikationen zum Inbegriff des eitlen und unfähigen Gelehrten stilisierte. Dabei orientierte er sich am Erscheinungsbild des satirischen Frontispizes, das zeitgenössischen Polemiken vorangestellt war, um Fehlentwicklungen im gelehrten Stand anzuprangern (Habel 2007: 198ff). Jedoch zeigt das Blatt, das dem Gelehrten Narren von 1729 vorausgeht (Kat. Nr. 77), erkennbar Gundlings Antlitz. Blasiert sitzt er an einem Tisch und wird, umgeben von Hasen, Affen und zwei Satyrn, zur Personifikation des „Gelehrten Narren“. Die Figuren sind Anspielungen auf die ihm unterstellte Feigheit, Geistlosigkeit und Lüsternheit; Flasche und Pfeife verweisen auf seine bekannte Trunk- und Tabakssucht. Fassmann verfestigte die Spottikonographie aus altertümlicher Bekleidung, Pfeife und Satyr, indem er sie unter anderem 1735 im Frontispiz seiner Neu entdeckten Elisäischen Felder (Kat. Nr. 78) wieder aufgriff.

Hackemann orientierte sich seinerseits erkennbar an diesen Motiven, wenn er dem gehängten Fassmann Bierkrug und Pfeife in die Hände gibt. Dieser wird nun derselben Laster beschuldigt, die er Gundling vorgeworfen hatte und erscheint folglich als der eigentliche Narr, was der Text noch unterstreicht: „Faßmann ist ihme [Gundling] nur gleich in der Narren-Kappen: In Gelehrsamkeit […] reicht er ihm das Wasser nicht“ (Hackemann 1736: Bl. )()(2 r).

Schrift und Bild vereinen sich hier zu einem Kommunikationsereignis, das darauf abzielt, Fassmanns ehrabschneidendes Verhalten zu rächen, indem sein Ruf als Autor ruiniert wird. Die Parteinahme für Gundling folgt dabei taktischen Erwägungen. Denn wenn erst Fassmanns Glaubwürdigkeit untergraben ist, erscheinen auch die Vorwürfe gegen Hackemann in einem anderen Licht.

Literatur

Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947, München 2007.

David Fassmann: Leben und Thaten des allerdurchlauchtigsten und großmächtigsten Königs von Preußen Friedrici Wilhelmi. Bis auf gegenwärtige Zeit aufrichtig beschrieben, Hamburg/Breslau [1735].

Thomas Habel: Gelehrte Journale und Zeitungen der Aufklärung. Zur Entstehung, Entwicklung und Erschließung deutschsprachiger Rezensionszeitschriften des 18. Jahrhunderts (Presse und Geschichte – neue Beiträge; Bd. 17), Bremen 2007.

Matthias Lentz: Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmähbriefen und Schandbildern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (ca. 1350 bis 1600). Mit einem illustrierten Katalog der Überlieferung, Hannover 2004.

Hole Rößler: Das nicht mehr schöne Bildnis. Druckgraphische Porträts als Medien der Diffamierung in der Frühen Neuzeit, in: Thomas Rahn, ders. (Hgg.): Medienphantasie und Medienreflexion in der Frühen Neuzeit. FS Jörg Jochen Berns, Wiesbaden 2018, S. 46–79.

Martin Sabrow: Herr und Hans Wurst. Das tragische Schicksal des Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling, Stuttgart 2001.