„Was darf die Satire?“

Felix Prautzsch: Kat. Nr. 18–20

„Was darf Satire?“ Mit dieser rhetorischen Frage leitete Kurt Tucholsky 1919 seinen berühmten Essay im Berliner Tageblatt ein (Kat. Nr. 18). In einer satirischen Argumentation nahm er seine angeblich allzu schnell gekränkten deutschen Zeitgenossen aufs Korn: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.“ Provozierend fordert er, der Satire müsse alles erlaubt sein: Selbst heftigste Angriffe in Wort und Bild seien legitim, wenn sie Wahrheitsliebe und Reflexionsvermögen einer Gesellschaft befördern. „Man kann viel mehr haben an der Kunst als seine Freude“ – Mit diesem Gerhart-Hauptmann-Zitat legitimierte Tucholsky seine invektive Provokation der deutschen Satirefähigkeit. Damit setzte er sich für ein Satireverständnis ein, das bis heute Gegenstand von Aushandlungsprozessen ist.

Als bildliches Gegenstück der Satire ist die Karikatur über sprachliche Grenzen hinweg rezipierbar (Unverfehrt 1984: 352). Lösten die Mohammed-Karikaturen von 2005 auch hierzulande Kontroversen aus, führten sie in muslimischen Kulturräumen zu teils gewaltsamen Reaktionen und Boykott-Aktionen gegen ‚den Westen‘ (Vetter-Liebenow 2016: 47–50). Die am 30. September 2005 in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten unter dem Titel „Das Gesicht Mohammeds“ erschienene Serie von zwölf Karikaturen war nicht nur aufgrund der Verknüpfung des muslimischen Religionsstifters mit Gewalt und Terror eine Provokation. Sie stellte auch einen Angriff auf das islamische Bilderverbot dar.

Aufgrund von ähnlichen Spottbildern geriet die laizistisch und antiklerikalistisch ausgerichtete französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo zur Zielscheibe des islamistischen Terrorismus. Beim Anschlag vom 7. Januar 2015 wurden zwölf Mitarbeiter*innen der Redaktion getötet. Unter dem Slogan „Je suis Charlie“ („Ich bin/folge Charlie“) fanden noch am selben Abend spontane Solidaritätskundgebungen statt, die ein Zeichen für Kunst- und Meinungsfreiheit setzen wollten. Die Überlebenden von Charlie Hebdo meldeten sich eine Woche später wieder satirisch zu Wort: Das Titelblatt vom 14. Januar 2015 zeigt Mohammed, wie er sich mit einer Träne im Auge zur „Je suis Charlie“-Bewegung bekennt, darüber die ironisch-versöhnliche Aussage: „Tout est pardonné“ („alles ist vergeben“).

Auch wenn Satire und Karikatur bisweilen als Gradmesser einer aufgeklärten Gesellschaft bezeichnet werden (Platthaus 2015 und 2016: 13f.), sind die Grenzen der Kunstfreiheit auch in westlich geprägten Ländern umstritten, was sich gerade bei Angriffen auf einzelne Religionsgemeinschaften und in der Grauzone zur persönlichen Schmähung zeigt (Haberer 2014: 25–29, Lessen 2014: 57f.). Die Papstsatiren auf dem Cover des deutschen Satiremagazins Titantic von 2012 (Kat. Nr. 19) provozierten den Vatikan immerhin zu einer, später allerdings zurückgenommenen, Unterlassungsklage und wurden vom Deutschen Presserat gerügt (Haberer 2014, 34f.).

2016 führten die von Jan Böhmermann in Versform vorgetragenen sexualisierten und mit rassistischen Anklängen zumindest spielenden Schmähungen gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan zu einer Staatsaffäre und einer breiten öffentlichen Diskussion über die Grenzen der Kunstfreiheit – auch deshalb, weil das Gedicht aus dem satirischen Zusammenhang von Böhmermanns Sendung gelöst und als eigenständiges Werk medial verbreitet und rezipiert worden war. In letzter Instanz bestätigte das Hamburger Oberlandesgericht das Verbot von 18 der 24 Zeilen des Gedichts mit der Begründung, dass es sich nicht um Kunst im Sinne des Grundgesetzes handele (Kat. Nr. 20). So haben Satire und Karikatur qua Gattung die Lizenz zur Invektive – solange sie als Kunstform und nicht als persönliche Diffamierung gelten. Die Grenzen bleiben indes unscharf.

Literatur

Johanna Haberer: Grenzen der Toleranz? Theologische Anmerkungen zu "Blasphemie" als einem medialen Phänomen, in: Thomas Laubach, Konstantin Lindner (Hgg.): Blasphemie – lächerlicher Glaube? Ein wiederkehrendes Phänomen im Diskurs (Bamberger Theologisches Forum; Bd. 14), Münster 2014, S. 25–36.

Jürgen Lessen: Blasphemische Kunst?, in: Thomas Laubach, Konstantin Lindner (Hgg.): Blasphemie- lächerlicher Glaube? Ein wiederkehrendes Phänomen im Diskurs (Bamberger Theologisches Forum; Bd. 14, Münster 2014, S. 57–66.

Andreas Platthaus: Gradmesser Aufklärung, in: WP Fahrenberg, Marin van Gelderen (Hgg.): Lichtenberg lacht. Aufklärung und Satire, Göttingen 2015, 77–84. 

Andreas Platthaus: Das geht ins Auge. Geschichten der Karikatur (Die andere Bibliothek), Berlin 2016.

Gerd Unverfehrt: Karikatur – Zur Geschichte eines Begriffs, in: Gerhard Langemeyer [u.a.] (Hgg.): Das Bild als Waffe. Mittel und Motive der Karikatur in fünf Jahrhunderten, (Ausst.-Kat.), München 1984, S. 345–354.

Gisela Vetter-Liebenow: Gespräch mit Asiem El Difrauoi, in: Caricatures. Spott und Humor in Frankreich von 1700 bis in die Gegenwart (Ausst.-Kat.), Hannover 2016, S. 45–50.