„Gegen alles Obszöne, Politische auf der Bühne!“

Julius Nordheim: Kat. Nr. 29–31

„Gegen alles Obszöne, Politische auf der Bühne!“ – Mit diesem Ausspruch rechtfertigte der Leiter des Münchner Büchner-Theaters Helmut Berninger sich gegenüber dem protestierenden Publikum, nachdem er der Premiere von „ORGIE UBUH“ am 1. August 1968 den Strom abgestellt hatte. Die Produktion, ein Gastspiel des antiteaters unter der Leitung Rainer Werner Fassbinders, konnte nur unter der Auflage zustande kommen, „kein politisches Theater“ zu zeigen. Fassbinder willigte trotz dieser Einschränkung ein, um endlich wieder eine Spielstätte für seine durch polizeiliche Schließung seines Theaters obdachlos gewordene Theatergruppe zu finden. Doch der Regisseur hatte zu keinem Zeitpunkt geplant, sich der Auflage wirklich zu beugen. Vielmehr wollte er den Verstoß gegen sie zum Kern der Inszenierung machen. Die Idee war, sich der anarchischen Kraft von Alfred Jarrys Skandalstück Ubu Roi zu bedienen, die Handlung jedoch in ein kleinbürgerliches Milieu zu verlagern und so einen Reflex auf die konservative Kunstauffassung am Büchner-Theater einzubauen.

Am Ende wurde eine Aneinanderreihung von Gesellschaftsspielen aus Alltags- und Hochkultur aufgeführt, die sich bis zu einer „wahren Kunstorgie“ steigerte: Ohne Rücksicht auf Verluste wurde mit echten Glasflaschen geworfen, Kurt Raab bot zum Gefangenenchor aus Verdis Nabucco einen Striptease dar und der berühmte Schrei „Tooooooor!“ des Fußballkommentators Herbert Zimmermann beim Siegestreffer für die Mannschaft der Bundesrepublik im Finale der Weltmeisterschaft 1954 spielte auf die Stimmungslage des nationalen Wiedererwachens nach dem Dritten Reich an.

Als Berninger das Licht des Bühnenraums löschte, richtete er damit gleichzeitig und erstmals das große Licht der Öffentlichkeit auf Fassbinder und dessen Theater. Der Premierenskandal von Orgie Ubuh konnte nur durch seine Reaktion ausgelöst werden. Indem er das gezeigte Theater tabuisierte und versuchte, ihm das Licht, also die Sichtbarkeit, zu rauben, stellte Berninger gerade erst die Aufmerksamkeit her, die Fassbinder zu überregionaler Bekanntheit verhelfen sollte. Die Darsteller erkannten die sich bietende Chance und steigerten die Provokation, indem sie kurzerhand in einen an Berninger gerichteten „Deutschland über alles“-Chor einstimmten. Gleichsam behielten sie damit das Heft des Handelns in der Hand und verweigerten sich des Abbruchs der Aufführung, indem sie Berningers Handeln in ihr Spiel einbezogen.

Fassbinder verstand es, im Tauschhandel von künstlerischer Provokation gegen Aufmerksamkeit den Strom an Rückkopplungen und Anschlusskommunikation nie abreißen zu lassen. Davon soll das gezeigte Plakat zur Ankündigung der ins Theater 44 verlegten Aufführung von Orgie Ubuh zeugen (Kat. Nr. 30). Fassbinder gießt den Text, der den Aufführungsabend im Büchner-Theater rekapituliert, in die Form eines Hakenkreuzes, das anschließend überall im Münchner Straßenbild zu sehen war. Die Inszenierung, so schreibt es Fassbinder auf dem Ankündigungsplakat, erreichte ihr Ziel paradoxerweise gerade durch den Abbruch ihres Bühnenspiels. Die kalkulierte Eskalation führte nicht zu einer öffentlichen Ablehnung und Diffamierung von Fassbinders Theater, das erzeugte Medienecho arbeitete sich ganz im Gegenteil in ironischem Ton an der Figur Berningers ab und zeichnet ihn als Karikatur des bürgerlichen „Saubermanns“, der mit seiner „mannhaften Maßnahme“ den „Stubenreinheitsansprüchen“ seines Theaters gerecht werden wollte (Kat. Nr. 31; 32).

Inschrift der Swastika:

Terror im Büchner-Theater! Bei der Premiere am 1.8.1968 Hat der Besitzer vom Theater während der Vorstellung das Licht gelöscht, obgleich das antiteater einen Vertrag für zehn Vorstellungen mit dem Büchner-Theater hatte. Dem antiteater war zur Auflage gemacht worden, kein politisches Theater zu machen. Eine Auflage, mit der man schon grundsätzlich nicht einverstanden sein kann. Und so wurde versucht, die verbo(r)gene Kunstauffassung einer Kunstgewerbeindustrie, zu der auch das Büchner-Theater gehört, zu entlarven und ihre ekelhaft verdummende und vernebelnde Wirkung zu zeigen. Dieser Versuch muss als einigermaßen gelungen angesehen werden, was Herrn Berningers Unterbrechung der Vorstellung beweist. Er hat verstanden, dass der Angriff auch ihm galt und er hat gehandelt, wie sie alle handeln, die die Macht dazu haben. Er hat unterdrückt, was nicht in die eigene Ideologie passte. Er hat nicht diskutiert, er hat Terror ausgeübt. rwf

Unterschrift der Swastika:

Das antiteater spielt „ORGIE UBUH“ heute 20.30 Uhr im Theater 44, Hohenzollerstr. 20, Tel. 339628. Weitere Spielorte und Daten werden in der Tagespresse bekanntgegeben.