Kinoraum – Kino auf Augenhöhe

Die Straße als Ort der Begegnung

Junge Frauen laufen 1956 durch die Innenstadt von Bautzen. Schon ihre traditionelle sorbische Tracht hebt sie von ihrer Umgebung ab. Der vom Institut für sorbische Volksforschung produzierte Film zeigt eine in Teilen inszenierte Situation: Die Frauen – scheinbar unterwegs zum Sorbischen Volkstreffen – wissen offensichtlich, dass sie gefilmt werden. Die Menschen um sie herum hingegen sind zufällige Passant*innen in Alltagskleidung, junge Männer im Teddylook flirten mit gleichaltrigen Mädchen. Es entspinnt sich ein komplexes Spiel der Blicke: Zwischen den jungen Frauen in sorbischer Tracht und den Passant*innen, aber auch zwischen der Kamera und denen, die sie filmt.

Titel Dny zwjazanosće: Wobrazy ze Zjězda Serbow 1956 (dt.: Tage der Verbundenheit: Bilder vom Sorbischen Volkstreffen 1956)
Kamera Horst Heiber, Kurt Heine, Jan Krawža, Bearbeitung: Kurt Heine
Produktion Institut für sorbische Volksforschung
Format analoges Original 16mm-Film Umkehr-Positiv, stumm
Laufzeit 34:15 min bei 24 Bilder/Sekunde
Original Sorbisches Institut (W2041)
Rechte Sorbisches Institut, DEFA-Stiftung

Zum FilmZur Filmkollektion Filme Sorbisches Institut Bautzen

 

Der Marienberger Schwimmbadbau 1958

Zwischen 1958 und 1963 entsteht ein Schwimmbad am damaligen Stadtrand von Marienberg im Erzgebirge, auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Mooshaide. Die Arbeiten werden von lokalen Anwohner*innen in ihrer Freizeit durchgeführt. Die Filmaufnahmen dokumentieren den Beginn des Baus: Noch sind keine festen Strukturen zu sehen, der Horizont ist größtenteils unbebaut und gibt den Blick in die grüne Weite frei. Die Montage scheint keinem strikten Schema zu folgen. Sie wirkt eher wie eine Sammlung spontaner Bildeinfälle. Einzelne Arbeitsschritte in Nahaufnahme und Schwenks über die gesamte Baustelle wechseln sich mit dem entspannten Beisammensein der Arbeiter*innen in den Pausen ab. Im Kontrast zur Ästhetisierung von Arbeit und Produktivität im Realsozialismus sowie dem Hang zum Repräsentativen auch in der DDR-Schmalfilmproduktion bewahren die Aufnahmen den Charakter des Unfertigen und Beiläufigen. 2013/2014 wird das Freibad Mooshaide trotz Protesten von Bürger*innenabgerissen.

Mitwirkende unbekannt
Format analoges Original Normal 8mm-Film Umkehr-Positiv, stumm
Laufzeit 5:23 min bei 16 Bilder/Sekunde
Original Stadtverwaltung Große Kreisstadt Marienberg – Stadtarchiv (C 2 IV 2 b)
Rechteinhaber unbekannt

Zum FilmZur Filmkollektion Stadtarchiv Marienberg

 

Konzertreise Japan 1973

Alfred Schindler ist als erster Bratschist der Staatskapelle Dresden zu DDR-Zeiten reiseprivilegiert. Der Hobbyfilmemacher bringt zwischen 1956 und 1983 von internationalen Konzerttourneen Bilder von Orten nach Dresden, die für Verwandte und Bekannte auf Grund der politischen Reisebeschränkungen unerreichbar sind. Der Blick auf das Fremde stellt die gefühlten oder tatsächlichen Beschränkungen des Eigenen scharf. In der hyperkapitalistischen Metropole Tokio interessiert sich Schindlers Kamera beispielsweise nicht allzu sehr für die Zeugnisse traditioneller japanischer Kultur. Stattdessen nimmt sie Werbefassaden für japanische und internationale Unternehmen in den Blick, filmt junge Frauen, die in hektischen Einkaufsstraßen Werbegeschenke an Passant*innen verteilen oder dokumentiert die durchmotorisierte, mobile Gesellschaft auf Tokios mehrstöckigen Straßensystemen.

Kamera, Schnitt Alfred Schindler
Format analoges Original Normal 8mm-Film Positiv, stumm
Laufzeit 21:36 min bei 16 Bilder/Sekunde
Original/Rechte Gabriele Schacht, Dresden (11 groß)

Zum FilmZur filmkollektion Staatskapelle Dresden

 

Privataufnahmen des Fotografen Willy Hanisch aus Rosswein

„Hochwasser in Roßwein i.S. am 17. Juni 1926“: Nur selten sind Amateurfilme so exakt datiert. Die Flut markiert einen Bruch mit der gewohnten Routine. Der Fluss des Alltags bricht buchstäblich über die Ufer und aktiviert die Kamera. Der sie führt, Willy Hanisch, ist professioneller Fotograf und verfügt somit über Erfahrung in der Produktion von Bildern. Dennoch unterscheidet sich sein Hochwasserfilm erheblich von Wochenschauaufnahmen ähnlicher Ereignisse. Die Montage sucht nicht nach besonders spektakulären Totalen, sondern bleibt meist nah am Wasser. Wie von dessen ungewohnter Wucht in Bann gezogen, vollzieht sie wieder und wieder dessen Bewegung mithilfe von Schwenks nach. Die Menschen, die im Film auftauchen, sind nicht mit hektischen Rettungs- oder Bergungsmaßnahmen beschäftigt, sondern scheinen von der Naturkatastrophe wie paralysiert. Eine Gruppe von Kindern blickt stumm und bewegungslos, den sie umgebenden Bäumen gleich, in Richtung Kamera.

Kamera, Schnitt Willy Hanisch
Format analoges Original 35mm-Film Positiv, stumm
Laufzeit 29:09 min bei 16 Bilder/Sekunde
Original/Rechte SLUB Dresden Kin-FLM-gr.A 2 1.3

Zum FilmZur Filmkollektion Willy Hanisch Zu den Fotografien von Willy Hanisch in der Deutschen Fotothek

 

Geithainer Rundblick, Monatsbericht 1/1960

Der nachweislich zwischen 1960 und 1961 von Filmamateur*innen produzierte Geithainer Rundblick versteht sich als Beitrag zum sozialistischen Miteinander auf einer dezidiert lokalen, alltagsnahen Ebene. Sowohl gedreht als auch gezeigt werden die Monatsberichte im gesamten ehemaligen Kreis Geithain. Als Vorläufer des Bürgerfernsehens bieten sie allen Interessierten die Möglichkeit, ihre Themen in die gemeinsame Filmarbeit einzubringen – solange diese nicht mit der im Auftakts-Rundblick formulierten ideologischen Rahmung in Konflikt geraten.

Neben klassischen dokumentarischen Formen entstehen auch ungewöhnliche Beiträge. In einer offensichtlich inszenierten Szene ist zu sehen, wie eine Hausfrau eine Bekannte durch ihre modern eingerichtete neue Wohnung führt. Diese Bilder scheinen weniger von den eingelösten Versprechen des Sozialismus zu berichten, als von Sehnsüchten, die keine Möglichkeit haben, sich angemessen auszudrücken.

Produktion Kollektiv des Geithainer Rundblick
Format analoges Original 16mm-Film Positiv, Ton
Laufzeit 19:13 min bei 24 Bilder/Sekunde
Original Heimatmuseum Geithain (1/60)
Rechteinhaber unbekannt

Zum Film Zur Filmkollektion Geithainer Rundblick