Papiergeschrei

Ein Material für alle Fälle

Der Bibliotheksbesucher erwartet von Papier nicht viel: Die gesammelten und gebundenen Bögen sollen Zeichen und Bilder möglichst lange schwarz auf weiß bewahren. Das Papier erscheint ihm als notwendiges Übel, um die gewünschten Informationen materiell überhaupt fassen zu können. Doch Papier ist mehr als ein Zeichenträger in Büchern und Zeitschriften. Es ist ein vielfach unterschätzter Ausgangspunkt für Alltagsgegenstände – oft Wegwerfprodukt, manchmal letzte Hoffnung.

Geschöpft, bedruckt, zerrissen: So kurz und knapp könnte die Geschichte von Papier erzählt werden. Ein Material, das traditionell aus Zellstoff, Wasser und mineralischen Füllstoffen besteht, erweckt nicht den Eindruck eines spannenden Dings. Ist es aber.

Die Dresdner Industriegeschichte im 19. und 20. Jahrhundert ist eng mit Papier verbunden: Süßwarenhersteller benötigten graphisch aufwendig gestaltete Kartonagen und Brauereien Etiketten, um den Konsumenten zu verführen. War Leipzig zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutsches Buchdruck-Zentrum, dominierten in Dresden Werbedruck und Verpackungsindustrie. Nicht zuletzt griffen Dresdner Zigarettenfabriken zur Ummantelung orientalischer Tabake auf Lausitzer Feinpapier zurück. Der Fotograf benötigte nicht nur Kamera und Film, sondern auch Fotopapiere, um die aufgenommenen Motive zu entwickeln. Auch ein Geldschein aus einem anderen Stoff als Papier ist schwer vorstellbar.

Wer erinnert sich an das stille Leiden einer Sekretärin, die auf einer mechanischen Schreibmaschine mit dosiertem Anschlag mehrere Durchschläge fehlerfrei herstellen musste? Wer an die Qualen des Informatikers, Lochkarten für die Codierung seines Programms vorzubereiten? Wer an die Virtuosität des Konstrukteurs, klecksfrei mit Tusche und Feder auf Pergament zu zeichnen? Oft steckt in manchem Produkt der Elektroindustrie mehr Papier, als man glauben möchte. Aber auch geradezu unscheinbare Dinge wie Kaffeefilter, Teebeutel, Bierdeckel und Heftstreifen haben sich einen festen Platz in der mythisch verbrämten Meistererzählung sächsischer Erfinderkunst erobert.

Nicht ohne Grund, denn Sachsen ist eine traditionelle Papierhochburg: In den 1920er Jahren erzeugte die relativ kleine Region jeweils rund ein Viertel der deutschen Papier- und Pappenproduktion. Auch alle bedeutsamen Forschung- und Produktionsstandorte der DDR-Papierindustrie lagen dort. Im Dresdner Wirtschaftsraum wurden Unmengen Papier hergestellt und verbraucht.

Die Ausstellung »Papiergeschrei« bringt diesen stummen Stoff ab dem 24.10.2009 in der Bereichsbibliothek DrePunct zum Reden: Auf dem Tresen, dem Schreibtisch, der Werkbank und in der Küche ist Raum für Dresdner Papiergeschichte(n). Dort zeigt ein Alleskönner, dass man mehr mit ihm machen kann, als ihn zu etikettieren, zu radieren, zu perforieren und zu beschmieren.