Veröffentlichung / Rezeption
1793 erschien ein von dem Leipziger Arabisten Johann Jakob Reiske (1716–1774) gefertigtes Verzeichnis von 135 der damals 352 orientalischen Handschriften der Kurfürstlichen Bibliothek in der Zeitschrift "Memorabilien". Die Dede Korkut-Handschrift wird dort (noch immer unter der Nummer 86) wie folgt beschrieben (übersetzt aus dem Lateinischen):
Leben des Korkut in oghusischem Dialekt, wie es auf dem Titelblatt heißt. Über Corcud, den Sohn Bayezids II. siehe D‘H[erbelot], [S.] 273. Der oghusische Dialekt ist derselbe wie der türkische der Familie der Osmanen.
Offenbar identifizierte Reiske die Gestalt des Dede Korkut fälschlich mit dem osmanischen Prinzen und Gouverneur Korkud (1467–1513), den er aus dem Lexikon „Bibliothèque orientale“ von Barthélemy d’Herbelot (Paris 1697) kannte.
"Mehrere Gelehrte haben schon von den M[anus]criptenschätzen der Dresdner Bibliothek gegen Caution auch auswärts Gebrauch machen dürfen. Bekanntmachung eines Theils derselben durch ein Verzeichnis, dessen Richtigkeit der Name des V[er]f[assers verbürgt, kann also würklich zu einer weitern Benutzung davon Gelegenheit geben."
So schrieb der Herausgeber der Zeitschrift, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus in einer Vorbemerkung zu Reiskes Verzeichnis (S. 2).
Es dauerte 20 Jahre, bis autodidaktische Orientalist und Büchersammler Heinrich Friedrich von Diez (1751-1817), der 1786 bis 1790 als preußischer Gesandter in Konstantinopel tätig war, auf die Dede Korkut-Handschrift aufmerksam wurde. Der damalige Dresdner Oberbibliothekar Georg Wilhelm Sigismund Beigel (1753-1837), der sich selbst mit orientalischen Sprachen beschäftigte, gestattete 1814 die Ausleihe der Handschrift nach Berlin, wo Diez eine exakte Abschrift vornahm, welche die Grundlage für seine weitere Beschäftigung mit dem Dede Korkut bildete.
1815 veröffentlichte Diez unter dem Titel „Depé Ghöz oder der oghuzische Cyklop“ den Originaltext und eine deutsche Übersetzung der Geschichte vom Riesen Depegös, den er als Vorbild für den Zyklopen Polyphemos in Homers Odyssee betrachtete. Diez sandte seine Übersetzung druckfrisch an Johann Wolfgang von Goethe, der sie 1816 als "treffliches Werk" lobte und in seinem "West-Östlichen Diwan" verarbeitete.
1831 beschreibt der nachmalige bedeutende Leipziger Professor für orientalische Sprachen Heinrich Leberecht Fleischer (1801–1888) die Dede-Korkut-Handschrift im Katalog des damaligen Gesamtbestandes von 454 orientalischen Manuskripten in der Königlichen Bibliothek wiederum unter der Nummer 86 folgendermaßen (übersetzt aus dem Lateinischen):
Türkischer Codex von 152 Blättern in kleinem Quartformat, in Neschi-Schrift [Naschī: verbreitete arabische Buchschrift] geschrieben, Kithābi-Dedeh-Qorqud, in jener älteren osttürkischen oder oghusischen Mundart verfasst. Es ist eine Erzählung über die inneren Auseinandersetzungen zwischen den Innen- und Außen-Oghusen zur Zeit Mohammeds, die damit geendet haben sollen, dass Kasan Beg, Fürst der Innen-Oghusen, Arus Beg, den Fürsten der Außen-Oghusen, im Zweikampf tötete, woraufhin sich diese der Herrschaft jener unterwarfen. Der Titel des Buches wurde gewählt, weil in der ganzen Erzählung große Teile von einem gewissen Korkut handeln, der ein frommer und weiser Mann von großem Einfluss bei den oghusischen Stammesgenossen gewesen sein soll.
1859 entlieh der Orientalist Theodor Nöldeke (1836-1930), damals an der Königlichen Bibliothek in Berlin tätig, die Handschrift, um sie abzuschreiben (im Nachlass Nöldekes an der Universitätsbibliothek Tübingen befinden sich als Nr. 44 eine Abschrift nach Diezes Abschrift, große Teile einer deutschen Übersetzung und Notizen zum Dresdner Original). Zur Veröffentlichung einer geplanten Edition und vollständigen Übersetzung kam es jedoch nicht.
1892 wurde die Handschrift dem deutsch-russischen Turkologen Wassili Wladimirowitsch Bartold (1869-1930; Geburtsname Wilhelm Barthold) zur Abschrift an die Universitätsbibliothek Halle ausgeliehen. Er edierte in der Zeitschrift Zapiski Vostočnago Otdelenija Russkago Archeologičeskago Obščestva1893 (1894), 1897/98 (1899), 1899 (1900) und 1902/03 (1904) den Text der ersten vier Geschichten samt russischer Übersetzung und einer umfangreichen Einleitung über die Dresdner Handschrift und das Buch des Dede Korkut.
1916 veröffentlichte Kilisli Mua‛llim Rif‛at (1876-1953) eine erste Gesamtedition mit türkischer Übersetzung nach der Berliner Handschrift
1922 stellte Wassili Wladimirowitsch Bartold seine russische Übersetzung der restlichen 8 Geschichten fertig (aus ideologischen Gründen erst 1950 von Hamid Arasli [1902-1983] und Mämmädhüseyn Tähmasib [1907-1982] veröffentlicht).
1938 gab Orhan Șaid Gökyay (1902-1994) den Text auf der Grundlage von Rif‛at in lateinischer Transliteration heraus
1939 veröffentlichte Hamid Arasli (1902-1983) eine russische Übersetzung in Baku (Aserbaidschan).
1950 erschien eine turkmenische Übersetzung von Mäti Kösäyev (1906-1974) (1951 aus ideologischen Gründen konfisziert und 1990 nochmals veröffentlicht).
1952 veröffentlichte Ettore Rossi eine italienische Übersetzung und Reproduktion der von ihm entdeckten Vatikanischen Handschrift.
1958 besorgte Muharrem Ergin die erste Gesamtedition der Dresdner Handschrift und Joachim Hein die erste deutsche Gesamtübersetzung nach der Ausgabe von Rif‛at mit Erläuterungen.
1974 erschien die erste englische Übersetzung von Geoffrey Lewis.
1988 erschien in Baku die erste aserbaischanische Gesamtübersetzung
1995 legte Hanspeter Achmed Schmiede eine deutsche Übersetzungen nach der Berliner Handschrift vor.
1999 wurde anlässlich eines von der Republik Aserbaidschan und der UNESCO ausgerufenen Gedenkjahres zum 1300. Jubiläums des Dede Korkud ein internationales Symposion in Dresden veranstaltet.
2000 besorgte Hanspeter Achmed Schmiede eine kritische Edition der Dresdner Handschrift in lateinischer Transliteration mit einem Abdruck der Dresdner Handschrift. Die Dresdner Handschrift wurde durchgängig fotografiert und in der Bilddatenbank der Deutschen Fotothek zugänglich gemacht. Am volkskundlichen Institut der aserbaischanischen Akademie der Wissenschaften wurde eine eigene Abteilung für Dede Korkut-Forschung gegründet.
2001 edierten Semih Tezcan und Hendrik Boeschoten die Dresdner und die Vatikanische Handschrift in lateinischer Transliteration (Rezension hier)
2008 (aserbaidschanisches Kulturjahr) legte Hendrik Boeschoten eine deutsche Übersetzung der Dresdner Handschrift vor, die im selben Jahr im Digitaliserungszentrum Dresden digitalisiert und über die Digitalen Sammlungen der SLUB weltweit verfügbar gemacht wurde. Das Original wurde in der Ausstellung "Aserbaidschan. Land des Feuers – Geschichte und Kultur im Kaukasus" im Japanischen Palais in Dresden gezeigt.
2015 fand anlässlich des 200. Jubiläums der Veröffentlichung von Heinrich Friedrich von Diez eine internationale Tagung über das Thema "Toleranz im Epos 'Kitabi Dede Korkut' als eine der literarischen Quellen des aserbaidschanischen Multikulturalismus“ in der SLUB statt. Im Festspielhaus Hellerau wurde das dokufiktionale Musiktheaterstück "Dede Korkut – Die Kunde von Tepegöz" uraufgeführt.
2018 wurden die Dede Korkut-Geschichten von der UNESCO-Welterbekommission in die „Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit“ aufgenommen.
Das "Buch des Dede Korkut" gilt seit rund 80 Jahren in der Türkei, in Aserbaidschan und in Turkmenistan als Nationalepos, das schon die Kinder in der Schule lesen. Entsprechend zahlreich sind die Veröffentlichungen über das identitätsstiftende literarische Denkmal und zugleich über die Dresdner Handschrift als vollständigstem Textzeugen. Die UNESCO-Welterbeerklärung und die Neuentdeckung von drei weiteren Handschriften 2017 und 2018 (s. Kapitel "Weitere Handschriften") brachten einen neuen Schub für die wissenschaftliche und öffentliche Rezeption. Allein in der Türkei erschienen 2020 und 2021 insgesamt 14 Dissertationen, 19 wissenschaftliche und 94 populärwissenschaftliche Monographien, 10 Lehrbücher, 101 Artikel und 52 wissenschaftliche Aufsätze. Es gab 48 Konferenzen und Projekte.
Im Oktober 2024 soll im Verlag De Gruyter eine diplomatische Edition der 12 Erzählungen nach der Dresdner Handschrift und der neugefundenen 13. Erzählung mit deutscher Übersetzung, herausgegeben von Ergün Özsoy und Klaus Wolf, erscheinen.