Provenienzforschung

Collage von Provenienzmerkmalen vom Titelmotiv der Ausstellung Mind the Gap (c) SLUB Dresden

Wem hat ein Buch oder ein Satz Noten einst gehört und unter welchen Umständen gelangten sie in eine Institution? Das ist die Kernfrage der Provenienz- oder auch Herkunftsforschung, mit der sich für einzelne Objekte ganze Biografien erstellen lassen.

Auch an der SLUB erforschen wir seit 2009 systematisch die Herkunft unserer Bestände, denn es wichtig, dass unrechtmäßig erworbene Bestände ermittelt, dokumentiert und rückerstattet werden. Die Provenienzforschung dient uns dabei auch als Werkzeug zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte.

Unser besonderer Fokus liegt auf der Ermittlung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut (NS-Raubgut): Nach der Washingtoner Erklärung von 1998 müssen die während des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke den rechtmäßigen Besitzern und Erben zurückgegeben oder erstattet werden. Das war auch für uns der Anstoß, sich intensiv mit diesem Abschnitt der eigenen Bestandsgeschichte auseinanderzusetzen, unrechtmäßige Erwerbungen zu ermitteln, zu dokumentieren und zu restituieren.

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Ein dunkles Kapitel: NS-Raubgut

In der Zeit des Nationalsozialismus verloren unzählige Menschen und Vereinigungen ihren Besitz durch Beschlagnahmungen, Zwangsverkäufe und auf anderen Wegen. Die jüngere Forschung hat gezeigt, dass neben Kunstsammlungen auch Bücher betroffen waren, deren Raub von Beginn an auf erschreckende Weise perfekt organisiert war. Gegnerisches Schrifttum wurde von NS-Stellen beschlagnahmt, zerstört oder gesammelt und gelangte dann zum Teil in die Bibliotheken – unter anderem auch in die Vorgängereinrichtungen der heutigen SLUB, die Sächsische Landesbibliothek und die Universitätsbibliothek Dresden. Neben den Zuweisungen aus staatlichen Sicherheitsstellen erhielt die Landesbibliothek auch Bücher von der Reichstauschstelle, die vor allem im Zweiten Weltkrieg große Bestände an geraubten Büchern verteilte, sowie aus dem Antiquariatshandel.

Zum Ende des Zweiten Weltkrieges erlitten die deutschen Bibliotheken große Verluste. Wie andere Einrichtungen war auch die Sächsische Landesbibliothek bestrebt, ihre Bestandslücken zu ergänzen. Als „herrenlos“ geltende Bücher und Altbestände, die sich nach Kriegsende in Sammelstellen oder Bibliotheken befanden, wurden durch verschiedene Einrichtungen der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR gesichert und weiterverteilt. Darin enthalten waren auch Bücher, die heute als NS-Raubgut bewertet werden.

Faire und gerechte Lösungen

Die Ermittlung, Dokumentation und Restitution unrechtmäßiger Bucherwerbungen ist Anliegen der Provenienzforschung an der SLUB. Wir bekennen uns damit zu unserer historischen Verantwortung. Seit 2009 führen wir mit Unterstützung verschiedener Fördereinrichtungen systematische Provenienzforschungsprojekte durch, aber es gab auch vorher bereits vereinzelte Rückgaben von Büchern und anderen Kulturgütern, die man als Raubgut identifiziert hatte.

Am Anfang stand die Überprüfung der Zugänge von 1945 bis 1990, die im Zuge der Enteignung von Gutshäusern und Schlössern in der Sowjetischen Besatzungszone, später DDR, in verschiedene Kultureinrichtungen gelangt sind. Seit 2011 werden die Bestände der SLUB hinsichtlich NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut untersucht – zunächst jene der Sächsischen Landesbibliothek, seit September 2021 die der Universitätsbibliothek Dresden, beides Vorgängereinrichtungen der heutigen SLUB. Identifizierte Besitzspuren werden im SLUB-Katalog und in der Deutschen Fotothek veröffentlicht; ausführliche Beiträge und Falldossiers auf der SLUB-Webseite und über den Publikationsserver Qucosa transparent dargestellt. Wenn möglich, werden die rechtmäßigen Erb:innen ermittelt und die Bücher restituiert.

Spurensuche

Die Suche nach der Herkunft von Büchern ist schwierig: Einzelne Sammlungen wurden häufig auseinandergerissen, auf verschiedene Bibliotheken verteilt und dort ohne Herkunftsvermerk in die Bestände eingearbeitet. Die Spuren in den Büchern selbst sind heute oft die einzigen Hinweise auf ihre Vorbesitzer:innen: Anhand von Exlibris, Siegel und Stempeln sowie handschriftlichen Eintragungen kann man sich auf die oft mühsame Suche nach ehemaligen Eigentümer:innen machen. Aber auch eher unspezifische Merkmale wie Signaturen und Nummern geben unter Umständen Rückschlüsse auf die Provenienz.

In der SLUB haben wir jedes einzelne Buch der Zugangsjahre 1933 bis 1990 gründlich untersucht und darin vorhandene Herkunftsmerkmale dokumentiert. Insgesamt wurden so rund 350.000 Bücher überprüft. Hinweise, die den Verdacht auf NS-Raubgut nahelegen, finden sich auch in den erhaltenen Zugangsbüchern der Sächsischen Landesbibliothek: Wenn als Herkunft „Gestapo“ oder „Reichstauschstelle“ vermerkt wurde, ist dies höchst verdächtig. Das gilt auch für einige Antiquariate, wie jüngere Forschungen belegen. Unglücklicherweise wurden durch die Zerstörung des Japanischen Palais im Frühjahr 1945 große Teile der Bibliotheksakten vernichtet, wodurch sich die hausinterne Quellenlage insgesamt schwierig gestaltet.

Arbeit und Erfolge

Die Provenienzforscher:innen an der SLUB Dresden arbeiten gut vernetzt mit der Fachcommunity: Unter anderem wirken sie in der „Arbeitsgemeinschaft Provenienzforschung in Sachsen“ und im „Arbeitskreis Provenienzforschung und Restitution – Bibliotheken“ mit.

Kontaktieren Sie uns gern!

Ihre Ansprechpartner:innen
Jana Kocourek, Abteilungsleiterin Handschriften, Alte Drucke und Landeskunde
Elisabeth Geldmacher; Nadine Kulbe, Projektmitarbeiter:innen
E-Mail: raubgut@slub-dresden.de