Press release

Mind the Gap – neue virtuelle Ausstellung zur NS-Raubgutforschung an der SLUB eröffnet zum Tag der Provenienzforschung am 14. April

Warum ist die Herkunft eines Buches zu hinterfragen? Wann handelt es sich um eine „verdächtige“ Provenienz, weil das Buch möglicherweise während des Nationalsozialismus geraubt wurde? Wie kann man den Weg eines Buches rekonstruieren und wie dessen ursprüngliche Eigentümer:innen identifizieren? Was geschieht danach? Und nicht zuletzt: Vor welchen Herausforderungen steht die praktische NS-Raubgutforschung und wie kann man diese meistern – oder aus ihnen sogar einen Vorteil ziehen?

Die SLUB blickt 2021 auf zehn Jahre NS-Raubgutforschung zurück. In den vergangenen drei Jahren (2017-2020) konnte ein Projektteam an der SLUB, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, knapp 1.200 Provenienzmerkmale untersuchen und Verdachtsfällen von NS-Raubgut nachgehen.

Jana Kocourek, Abteilungsleiterin Handschriften, Alte Drucke, Landeskunde und Koordinatorin der Provenienzforschung an der SLUB, erläutert: „Das sind Exlibris, Stempel, Namenseinträge, oft auch nur Nummern in Büchern – Besitzspuren also, die die Bücher dadurch erst zu individuellen Kulturobjekten werden lassen und auf ihre Vorbesitzer:innen verweisen. Für etwa 200 Merkmale konnte eine Verfolgung ausgeschlossen werden, auch das ist ein wichtiges Ergebnis. 486 Merkmale weisen auf eine Verfolgung der vorbesitzenden Personen und Körperschaften aus rassischen, religiösen, weltanschaulichen oder politischen Gründen hin. In knapp 360 Fällen sind wir bereits zu wichtigen Erkenntnissen gekommen und konnten bislang 61 Bücher an rechtmäßige Erben restituieren. Die Rückgabe von weiteren mehreren hundert Büchern wird vorbereitet. Noch viel wichtiger als diese Fallzahlen sind die Schicksale, die dahinter stehen. Es ist auch unsere Aufgabe, und das wird angesichts fortschreitender Zeit immer wichtiger, die dazugehörigen Geschichten zu erzählen.“

Die Provenienzforscher:innen aus dem Projektteam der SLUB haben die Arbeit der vergangenen Jahre gemeinsam mit der Gestalterin Judith Andó in einer Online-Ausstellung aufbereitet. Mind the Gap. Von geraubten Büchern, fairen Lösungen … und Lücken wird mit einem virtuellen Publikumsrundgang zum Tag der Provenienzforschung am 14. April 2021 um 17 Uhr eröffnet und ist in der Deutschen Digitalen Bibliothek zu sehen.

Die Ausstellung zeigt anschaulich, wie NS-Raubgut identifiziert und wie Vorbesitzer:innen ausfindig gemacht werden können. Besucher:innen begleiten die Forscher:innen bei der Aufklärung von Herkunftsvermerken in drei Büchern, die die Schicksale der Schriftstellerin Ilse Weber, der Arbeiterbibliothek Rathenow und des Württembergischen Freidenker- und Monistenbundes vor und während der Zeit des Nationalsozialismus dokumentieren.

Nadine Kulbe, Kuratorin der Ausstellung: „Wir als Provenienzforscher:innen waren in der täglichen Arbeit im Wesentlichen mit Lücken konfrontiert: in den Büchern selbst, in Archiven, in Zeitzeug:innenberichten. Wie kann man mit diesen Lücken umgehen, wie sie überwinden oder füllen? Auch das wollen wir mit der Ausstellung zeigen und haben ihr nicht zuletzt deshalb den sprechenden Titel mit Anspielung auf den Sicherheitshinweis in der U-Bahn gegeben.“

Elisabeth Geldmacher, ebenfalls Kuratorin der Ausstellung, ergänzt: „Lücken stehen aber auch für den größten Erfolg unserer Arbeit: die Lücken in den Regalen, wenn wir Bücher nach erfolgreicher Recherche an ihre rechtmäßigen Erb:innen zurückgeben konnten. Den Kontakt und den Austausch mit den Rechtsnachfolger:innen habe ich immer als besonders bewegend empfunden: Plötzlich bekam das Buch eine Geschichte und alles um es herum wurde lebendiger. Die individuellen Schicksale gehen sehr nah und die Bedeutung, die die Restitution für die Nachfahr:innen hat, wird noch einmal bewusst.“

Die SLUB wird sich auch in den kommenden Jahren weiter intensiv um Provenienzforschung bemühen. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert in den kommenden zwei Jahren die Aufarbeitung der historischen Bestände der Dresdner Universitätsbibliothek.