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Neue Online-Ausstellung eröffnet zum Internationalen Tag der Provenienzforschung: Schicksalhafte Seiten. Bücher verfolgter Jurist:innen an der SLUB Dresden

Anlässlich des Internationalen Tages der Provenienzforschung am 9. April 2025 launcht die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB Dresden) eine neue Online-Ausstellung: Schicksalhafte Seiten. Bücher verfolgter Jurist:innen in der SLUB Dresden ist derzeit noch bis in den Herbst 2025 vor Ort in der Zweigbibliothek Interim Bergstraße auf dem Zelleschen Weg 21-25 zu sehen. Ab sofort kann die Sonderausstellung auch dauerhaft online in der Deutschen Digitalen Bibliothek besucht werden: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/schicksalhafteseiten/. Sie ist frei zugänglich.

Präsentiert werden Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung von Beständen der ehemaligen Universitätsbibliothek Dresden auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, kurz NS-Raubgut. Welche Schicksale offenbaren sich, wenn man Stempel oder Namenszüge genauer untersucht? Die Ausstellung stellt anhand biografischer und autobiografischer Dokumente im Nationalsozialismus verfolgte Anwälte, Richter, Beamte, Hochschullehrer und Institutionen vor, deren Spuren sich in den Büchern in der SLUB Dresden erhalten haben. Dabei wirft sie auch einen Blick auf kulturelle, politische und gesellschaftliche Kontexte und legt Leerstellen bei der Suche nach NS-Raubgut im Bestand der SLUB offen.

Erzählt wird zum Beispiel das Schicksal des Urheberrechtsexperten Paul Dienstag (1885–1945), der als Jude im Nationalsozialismus verfolgt wurde. Dienstag gelang die Emigration in die Niederlande, jedoch erfolgte nach deren Besetzung durch die deutsche Wehrmacht 1940 seine Internierung im Lager Westerbork. Im Januar 1944 wurde er in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert und Anfang 1945 ermordet. Mehr über das Leben Paul Dienstags und seine Liebe zu Selma van Leeuwen-Gerzon (1880–1972), die wider alle unmenschlichen Lebensumstände im Lager entstehen konnte, ist in der digitalen Ausstellung zu erfahren.

In dem von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Forschungsprojekt haben Expertinnen an der SLUB insgesamt 12.000 Bücher aus der ehemaligen Zweigbibliothek Rechtswissenschaft untersucht. Die darin enthaltenen Provenienzmerkmale sind wichtige Spuren, um die Vorbesitzenden zu identifizieren und herauszufinden, ob es sich bei den Büchern um NS-Raubgut handeln könnte.

Ausstellungskuratorin Elisabeth Geldmacher: „Es war uns wichtig, die Herkunftsgeschichten der Bücher zu erzählen und so an die Schicksale ihrer Besitzer:innen zu erinnern – auch an jene, deren Spuren mit dem Krieg verschwunden sind. Zum Beispiel fanden wir keinen Fall von NS-Raubgut, der jüdische Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte aus Dresden betrifft. Auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur wissen wir nicht, was mit ihren Büchern geschehen ist.“

Hintergrund: Provenienzforschung an der SLUB Dresden

Seit 2011 überprüft die SLUB Dresden im Rahmen von Drittmittelprojekten ihre Bestände systematisch auf unrechtmäßig erworbene Bücher aus der Zeit des Nationalsozialismus. Identifizierte Besitzspuren werden im SLUB-Katalog und in der Deutschen Fotothek veröffentlicht; ausführliche Beiträge und Falldossiers auf der SLUB-Webseite und über den Publikationsserver Qucosa transparent dargestellt. Wenn möglich, werden die rechtmäßigen Erbinnen und Erben ermittelt und die Bücher restituiert. In den vergangenen und im aktuell laufenden Forschungsprojekt konnten bereits in mehr als 30 Fällen Restitutionen im Sinne der Washingtoner Prinzipien (1998) erfolgen. In über 300 nachgewiesenen Fällen von NS-Raubgut steht eine Ermittlung der Erbinnen und Erben noch aus. Dazu wurde kürzlich eine Projektförderung bei der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste beantragt.

Mehr über die Provenienzforschung an der SLUB Dresden erfahren Interessierte auch im aktuellen Podcast der Expertinnen: Zweites Untergeschoss. Ein Forschungspodcast zur Herkunft von Büchern ist in drei Folgen erschienen und in der SLUB Mediathek sowie bei Spotify und Apple Podcasts verfügbar. Zum Tag der Provenienzforschung am 9. April 2025 stellt Olivia Kaiser, ebenfalls Provenienzforscherin an der SLUB Dresden, den Podcast im Coffee Talk vor: 13:30 Uhr im Foyer der SLUB (Zellescher Weg 18, 01069 Dresden) bei einer Tasse Kaffee. Das Angebot ist kostenfrei, eine Anmeldung nicht erforderlich.

Koordinierungsstelle für NS-Raubgut in Öffentlichen Bibliotheken

Die an der SLUB Dresden angesiedelte Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken berät und unterstützt öffentliche Bibliotheken im Freistaat bei der Provenienzforschung. 2021 wurde dort die bundesweit erste Koordinierungsstelle für NS-Raubgut in Öffentlichen Bibliotheken gegründet. Mit ihrer Unterstützung konnte bereits an sechs Öffentlichen Bibliotheken in Sachsen NS-Raubgut nachgewiesen und auf dieser Basis drei Projekte beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste beantragt werden. Am Tag der Provenienzforschung wird die Koordinierungsstelle die Ergebnisse ihrer Arbeit in einem Vortrag an der Universitätsbibliothek Chemnitz vorstellen. Fortgesetzt kann ihre wichtige Arbeit jedoch nur werden, wenn sich bei den Haushaltsgesprächen im Landtag eine Lösung findet, denn im Entwurf der Sächsischen Staatsregierung für den Doppelhaushalt 2025/2026 sind für die Koordinierungsstelle keine Mittel mehr vorgesehen.