Die Folgen einer Beleidigung

Lea Hagedorn: Kat. Nr. 3

Wie umgehen mit einer Beleidigung? Eine ironische Antwort hält 1848 die humoristische Wochenzeitschrift Fliegende Blätter (Kat. Nr. 3) in Gestalt eines Bildwitzes bereit (Stier 1890: 17–21). Auf einer Doppelseite führen zwölf Bildfelder in satirisch-überzeichneter Weise die zumeist gewalttätigen Folgen einer Beleidigung vor. Mit einem deutlichen Augenzwinkern reflektieren sie kulturelle Differenzen invektiver Kommunikation und betreiben gleichzeitig selbst ein invektives Spiel mit nationalen und gruppenbezogenen Stereotypen. Die rüden Reaktionen auf Beleidigungen, so suggerieren es die Darstellungen, offenbaren das ‚eigentliche Wesen‘ einer Nation: Der englische Gentleman verliert die Contenance und verpasst dem Hafenarbeiter einen Kinnhaken, der temperamentvolle Italiener beauftragt einen Meuchelmörder, um eine ‚endgültige Wiedergutmachung‘ für einen erlittenen Ehrverlust herbeizuführen. Tiroler Bauern schlagen sich gegenseitig blutig, während holländische Bürger den Amtsweg beschreiten. Wie schmal der Grat zwischen ironischer Zuspitzung und der Abwertung des kulturell Anderen ist, verdeutlicht das Bildfeld zu „Judea“. Zwei Männer, deren Physiognomien erkennbar den rassistischen Klischees von „Juden“ entsprechen (Haibl 2000: 93–96), gehen sich gegenseitig an. Der Beleidigte setzt sich zur Wehr, indem er seinem Gegenüber ins Gesicht spuckt, womit eine deutliche Anspielung auf die Verspottung Christi durch die Juden gegeben ist. Bekannt wurde das Motiv des ,spuckenden Juden‘ durch Passionszyklen des Spätmittelalters und der Renaissance, die das Bildthema in verschiedenen Varianten aufgriffen.

Als invektive Körpertechnik und symbolträchtiges Motiv eignete sich das Spucken bis in die Moderne hinein auch deshalb, weil man eine Wortverwandtschaft mit dem verbalen Spotten annahm. Wobei letzteres gegenüber dem körperlichen Akt des Bespuckens als zivilisatorisch fortschrittliche Konfliktstrategie betrachtet wurde (Krünitz 1833: 159; 709). Auch aus juristischer Perspektive rangierte das Bespucken im 19. Jahrhundert zwischen der Beleidigung, wenn es dazu diente, ein Gegenüber abzuwerten, und der Misshandlung, wenn es beim Anderen körperlichen Ekel auslösen sollte (Stenglein 1873: 344). Insofern ist es den Handgreiflichkeiten der übrigen Bildfelder verwandt. Die körperlichen Reaktionen stehen dabei in erkennbarem Kontrast zur demonstrativen Passivität des pikiert dreinblickenden Potsdamers auf dem letzten Bildfeld.

Die unterstellten, vorgeblich kulturell bedingten Reaktionsmuster auf Formen der Beleidigungen erlauben dieser Bildrhetorik zufolge Rückschlüsse auf den Grad an Zivilisiertheit einer Gesellschaft oder sozialen Gruppe. Auf diese Weise werden kulturelle Klischees produziert und im selben Moment durch ironische Überzeichnung als solche ausgestellt. Die mediale Thematisierung von Invektivität in Form des karikierenden Bildwitzes ist letztlich doppelbödig: Invektive Akte und hypothetische Formen der Anschlusskommunikation werden dargestellt, pointiert und auf eine Weise kommentiert, die ihrerseits wiederum invektiv ist.

Literatur und Quellen

Michaela Haibl: Zerrbild als Stereotyp. Visuelle Darstellungen von Juden zwischen 1850 und 1900, Berlin 2000.

Johann Georg Krünitz: Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- u. Landwirthschaft, Bd. 159: Spinnen-Sprache, Berlin 1833. 

Melchior Stenglein (Hg.): Zeitschrift für Gerichtspraxis und Rechtswissenschaft in Deutschland NF2=12,23 (1873).

A. Stier: Von den Münchener „Fliegenden Blättern“, in: Die Kunst für Alle. Malerei, Plastik, Graphik, Architektur 6,2 (1890), S. 17–22 sowie 6,3 (1890), S. 33–36.