Industrialisierung und technische Bildung in Sachsen: zur Einführung

Während man im europäischen Vergleich von einem „nachholenden Prozess“ sprechen kann, war Sachsen in den deutschen Industrialisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts ein „Pionier und Vorläufer“ (R. Heß/M. Schäfer). Dies gilt einerseits für die engere wirtschaftliche Entwicklung in verschiedenen Branchen wie der Textilindustrie oder dem Maschinenbau. Wenn man „Industrialisierung“ aber nicht nur als „wirtschaftlich-technologische[n] Prozess“, sondern auch als „fundamentalen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel“ (dies.) mit Wirksamkeit bis in die Gegenwart auffasst, geraten weitere Aspekte in den Blick, die in enger Wechselwirkung mit technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen standen. Dazu gehört der massive Ausbau der technischen Bildungslandschaft seit dem frühen 19. Jahrhundert. So sah man – nach französischem Vorbild – auch in Deutschland „in der polytechnischen Bildung ein Sicherungsinstrument, um neue, die traditionellen Handwerksfertigkeiten beiseite schiebende industrielle Produktions- und Distributionssysteme in den Griff zu bekommen, zu kontrollieren und zugleich zu fördern“ (W. Weber). Akademisierung, Verwissenschaftlichung und Professionalisierung sind die Prozesse, die die Institutionalisierung der technischen Bildung begleiten.

Die Ausstellung möchte diese Prozesse am Beispiel ausgewählter Einrichtungen und Akteure Sachsens schlaglichtartig beleuchten. Einen Entwicklungsstrang bilden die Polytechnischen Schulen, aus denen die Technischen Hochschulen und Universitäten hervorgingen. Sie befanden sich mit den klassischen Universitäten in einer fortgesetzten Auseinandersetzung um ihren Status, der schließlich durch die Verleihung des Titels eines Diplom-Ingenieurs und, um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, durch das Promotionsrecht zum Doktor der Ingenieurwissenschaften aufgewertet wurde. Einen zweiten Strang stellen die Gewerbe-, Technischen Mittel- und Fachschulen dar, aus denen sich später die Ingenieur- und mithin die heutigen Fachhochschulen und Studienakademien entwickelten. Sie stellten lange einen weit höheren Anteil an Absolventen im Ingenieurbereich. Anders als oft angenommen gab es zwar keine systematische Koordination der Bedürfnisse der Industrie mit den Lehrinhalten der technischen Bildungseinrichtungen. Aber gerade durch die Vielfalt der Ausbildungsformen gelang es in einem „Triumph der Heterogenität“ (W. König), die Anforderungen aus Staat, Wirtschaft und dem Bildungssystem selbst zu bedienen. Einen Ausdruck finden diese Prozesse im 1871 von Heinrich Seidel verfassten „Ingenieurlied“. Der Anfang der ersten Strophe – „Dem Ingenieur ist nichts zu schwere - Er lacht und spricht: Wenn dieses nicht, so geht doch das!“ – gibt in seiner bekannten Kurzform auch dieser Ausstellung ihren Titel. Zum „Jahr der Industriekultur“, das in Sachsen 2020 begangen wird, möchte sie einen wichtigen Aspekt der sächsischen Industriekultur in den Blick nehmen: den Auf- und Ausbau der technischen Bildungslandschaft im 19. Jahrhundert, ihre weitere Ausformung im 20. Jahrhundert und ihre fortgesetzte Bedeutung für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Sachsen im 21. Jahrhundert.

In der Schatzkammer präsentieren wir Objekte zur wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung Sachsens seit dem Mittelalter, u. a. zur Geschichte des Bergbaus im 16. Jahrhundert – jenem Wirtschaftszweig, der auch im Industrialisierungszeitalter von hoher Bedeutung war.