Winckelmann und die Dresdner Antiken

„Ich kann aber das Vorzüglichste von Schönheit nicht angeben, weil die besten Statuen in einem Schuppen von Bretern, wie die Heringe gepacket, standen, und zu sehen, aber nicht zu betrachten waren“, bedauerte Winckelmann 1763 rückblickend in seiner „Abhandlung von der Faehigkeit des Schoenen in der Kunst und d. Unterrichte in derselben“. 1747 waren die Dresdner Antiken wegen der Festlichkeiten zur sächsisch-bayerischen Doppelhochzeit in zwei Schuppen und in einen der Pavillons, die das Palais im Großen Garten umgeben, verfrachtet worden. 1763 wurden sie auf vier der Pavillons verteilt und kamen erst 1786 wieder in angemessene Ausstellungsräume im Japanischen Palais. Zu den wenigen Werken, die Winckelmann sehen konnte, gehörten die drei Herkulanerinnen (von ihm als Vestalinnen bezeichnet), die Sitzfigur einer Nymphe (von ihm als Agrippina d. Ä. gedeutet) und die in der Ausstellung gezeigte Büste des Kaisers Caracalla.

Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke

Johann Joachim Winckelmann: Gedancken ueber die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst
Dresden, 1755.
SLUB: D.O.220,1.a
Foto: SLUB/Deutsche Fotothek

Zweite vermehrte Auflage. - Dresden u. Leipzig: Walther, 1756.
SLUB: D.O.220,1.b
Foto: SLUB/Deutsche Fotothek

Gestützt auf unermüdliches Studium der in den Bibliotheken in Nöthnitz und Dresden vorhandenen Literatur und der originalen Kunstwerke vor Ort, pries Winckelmann in seiner ersten veröffentlichten Schrift die griechische Kunst als Vorbild und Maßstab für alle nachfolgenden Künstler. Entscheidende Kennzeichen seien die natürliche und zugleich „idealische“ Schönheit der Figuren, ein ebenmäßiger „Contour“ (Umriss) der nackten wie der gewandeten Körper und „eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke“. Unter den vielen angeführten Kunstwerken ist der „schöne Caracalla unter den Königlichen Antiquen in Dreßden“ als Beispiel dafür genannt, dass „die Alten nicht allezeit fein gebrochene Gewänder [wie die der zuvor beschriebenen Herkulanerinnen] gemacht haben“ (S. 21). 
Die erste Auflage des Friedrich August II. von Sachsen (bzw. August III. von Polen) gewidmeten Werkes erschien als Privatdruck in nur 40 Exemplaren, von denen heute nur noch neun bekannt sind. Die Titelvignette mit der Darstellung des griechischen Künstlers Timanthes beim Malen der Opferung der Iphigenie in Aulis stammt von Friedrich Adam Oeser.

Schwarzfigurige Amphora

Gebrannter Ton, bemalt und geritzt
Attisch, um 500 v. Chr.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung, Dr. 233
Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung

Die Vase zeigt auf der Vorderseite den athenischen Nationalhelden Theseus, assistiert von Ariadne, im Kampf mit dem Minotaurus, auf der Rückseite einen Satyr bei der Verfolgung einer Nymphe. Das Gefäß gehörte zur umfangreichen Vasensammlung des kurfürstlich-sächsischen Hofmalers Anton Raphael Mengs (1728–1779), dem Winckelmann in Rom freundschaftlich eng verbunden war, bis der Maler ihn, der sich im Erkennen moderner Nachahmungen, Ergänzungen und Fälschungen von Antiken so sicher wusste, mit einem für antik ausgegebenen Freskogemälde von seiner eigenen Hand täuschte. Die Amphora gelangte nicht wie die meisten Mengs'schen Vasen in die Vatikanische Bibliothek, sondern wurde der Dresdner Antikengalerie 1773 von ihrem Inspektor Johann Friedrich Wacker (1730–1795) geschenkt.

Monumenti antichi inediti

In: Johann Joachim Winckelmann: Monumenti antichi inediti. - Bd. 1. - Rom, 1767.
Radierung.
SLUB: D.O.220,14
Foto: SLUB/Deutsche Fotothek

Auf einer der 208 Kupfertafeln in Winckelmanns letztem veröffentlichten und einzigen italienischsprachigen Werk über zuvor wenig bekannte antike Denkmäler mit außergewöhnlichen Darstellungen sind eine Gesamtansicht sowie die Figuren auf der Vorder- und Rückseite der Mengs'schen Amphora abgebildet. Im zugehörigen Erläuterungstext (S. 134) geht es um die Darstellung des Minotaurus als Mischwesen aus Mensch und Stier.

Porträtbüste des Kaisers Caracalla

Marmor und Alabaster, römisch, um 210–220 n. Chr., aus der Sammlung Chigi
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung, Hm 402
Foto: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung, H.-P. Klut/E. Estel

Nicht etwa auf das finster dreinblickende Marmorporträt des römischen Kaisers, der 211 bis 217 n. Chr. regierte, den eigenen Bruder Geta ermordete und grausam mit Hilfe des Militärs gegen seine Gegner vorging, bezieht sich Winckelmann in seiner Schrift „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke …“ 1755, sondern auf die zwar antike, aber erst im 17. Jahrhundert mit dem Kopf verbundene Alabasterbüste, deren Gewand seiner Ansicht nach weniger „fein gebrochen“, d. h. faltiger ist als die teilweise eng anliegenden, körperbetonten Gewänder der Herkulanerinnen.