Italienische Musiktradition am sächsischen Hof

Als Kurfürst Moritz von Sachsen im Jahr 1549 für seine eben gegründete Dresdner Hofkapelle (Cantorey) sechs italienische Musiker anwarb, zu denen der Posaunist Antonio Scandello (1517–1580) gehörte, legte er den Grund für die italienische Tradition dieses Orchesters. In den folgenden Jahrhunderten nahmen italienische Instrumentalisten und Kapellmeister wie Vincenzo Albrici (1631–1696), Marco Giuseppe Peranda (1625–1675), Antonio Lotti (1666–1740) und Francesco Morlacchi (1784–1841) unter den Mitgliedern der Kapelle eine herausragende Stellung ein. Zahlreiche kirchenmusikalische Kompositionen und Opern, aber auch Tafel- und Kammermusiken, die in der Musikabteilung der SLUB aufbewahrt werden, legen Zeugnis von ihrem schöpferischen Wirken in der sächsischen Residenzstadt ab. Für Hofmusiker wie Johann David Heinichen (1683–1729), Johann Georg Pisendel (1687–1755), Johann Adolph Hasse (1699–1783) und Johann Gottlieb Naumann (1741–1801) übten italienische Städte wie Venedig, Florenz und Neapel eine besondere Anziehungskraft aus. Sie betrieben ihre Studien u. a. bei Antonio Vivaldi, Tomaso Albinoni und Giuseppe Tartini und ließen sich nicht nur von den Werken ihrer begabten Kollegen, sondern auch von den glanzvollen Opern- und Konzertdarbietungen inspirieren. Die während ihrer Italien-Aufenthalte entstandenen eigenen Kompositionen gelangten zuweilen dort zur Aufführung und verhalfen ihnen auch in der Heimat zu größerer Anerkennung.

Scandellos Auferstehungshistorie

Antonio Scandello: Resurrectio Domini Nostri jesu Christi ab Antonio Scandello compositae
Abschrift von Johannes Gengenbach.
Grimma, 3. martii 1593.
SLUB: Mus.Gri.11
Foto: SLUB

Seit 1549 als Posaunist und Zinkenist der kurfürstlich-sächsischen Hofkapelle unter Johann Walter (1496–1570)‏ tätig, wurde Antonio Scandello 1568 selbst zum Kapellmeister berufen. Während seiner zwölfjährigen Amtszeit komponierte er neben einer Johannespassion, Messen, Motetten, italienischen Kanzonen und weltlichen Liedern auch die vorliegende Auferstehungshistorie.  Die 1568 entstandene Komposition, die einer deutschen Textfassung von Johannes Bugenhagen folgt, gilt als sehr frühe Form einer oratorischen Historie, in der die Redeanteile der handelnden Personen in wechselnder Besetzung vertont wurden. Bevor Heinrich Schütz (1585–1672) seine Auferstehungshistorie komponierte, die Scandellos Vorbild eng verpflichtet ist, erklang diese regelmäßig unter dessen Leitung.

Perandas Vertonung des 51. Psalms

Marco Giuseppe Peranda: Psalm. 51. MISERERE
Partitur, Abschrift. 1680–1721.
SLUB: Mus.1738-E-512
Foto: SLUB

Peranda, der zunächst als Altist der Hofkapelle des sächsischen Kurprinzen Johann Georg (Kurfürst 1656–1680) engagiert war, übernahm 1663 das Amt des Kapellmeisters von Vincenzo Albrici. Zu seinem kompositorischen Oeuvre gehören neben zwei Bühnenwerken vor allem Messen, Historien, Psalmen und um die 150 geistliche Konzerte, die das Dresdner Repertoire von 1664 bis 1675 entscheidend prägten. Perandas Musik war in ganz Deutschland verbreitet und wurde bis in das 18. Jahrhundert hinein an der Fürstenschule Grimma sowie an den Höfen in Weißenfels und Rudolstadt aufgeführt. Die gezeigte Abschrift des in 18 Abschnitten vertonten 51. Psalms stammt ursprünglich aus der Fürstenschule Grimma und wurde von dem dortigen Kantor Samuel Jacobi angefertigt.

Eine Violinsonate Albinonis

Tomaso Albinoni: Sonata a Violino solo di me Tomaso Albinoni Composta p il Sig: Pisendel
Partitur, Autograph. 1716–1717.
SLUB: Mus.2199-R-1
Foto: SLUB

Dass die SLUB den weltweit größten Quellenbestand von Werken Tomaso Albinonis (1671–1751) besitzt, ist wohl in erster Linie auf persönliche Beziehungen zwischen dem venezianischen Komponisten und dem Dresdner Hof zurückzuführen. Als Kurprinz Friedrich August von Sachsen mit einigen seiner Hofmusiker auf seiner Kavalierstour von 1716 bis 1717 zum dritten Mal in Venedig Station machte, war es vor allem der Violinist Johann Georg Pisendel, der sich mit der neuesten Musik seiner italienischen Kollegen auseinandersetzte und Abschriften für die Dresdner Hofkapelle anfertigte.
Seine Bekanntschaft mit Albinoni kann allerdings nur aus der Widmung einer Violinsonate und dem Vorhandensein von zwei weiteren autographen Sonaten des Venezianers in Dresden gefolgert werden.

Ein Oratorium Hasses

Johann Adolf Hasse: Il Cantico de' tre fanciulli
ORATORIO.
Partitur, Teilautograph. 1734.
SLUB: Mus.2477-D-8
Foto: SLUB

Als Hasse 1731 anlässlich der Aufführung seiner Oper „Cleofide“ aus Venedig erstmals nach Dresden kam, wurde ihm hier der Titel eines Kurfürstlich-Sächsischen Hofkapellmeisters verliehen. Dieses Amt trat er jedoch erst Anfang Februar 1734 an. Für das offenbar noch in Italien komponierte Oratorium „Il Cantico de‘ tre fanciulli“ verwendete Hasse einen Text des Dresdner Hofdichters Stefano Pallavicini, der einen alttestamentlichen Stoff aus dem Buch Daniel bearbeitet hatte. Es erklang in der Fastenzeit am 23. April 1734 und war eines der ersten Werke, das unter seiner Leitung in der sächsischen Residenzstadt aufgeführt wurde. Zwischen 1734 und 1750 vertonte Hasse insgesamt acht italienische Oratorien für die Katholische Hofkirche. Da während der Fastenzeit das Opernhaus geschlossen war, ersetzten die Oratorien die Opernaufführungen.

Naumanns Oper „Solimano“

Johann Gottlieb Naumann: Solimano
Dramma per musica.
Partitur, Autograph.
Venezia, Carnevale, 1773.
SLUB: Mus. 3480-F-6
Foto: SLUB

Von 1757 bis zu seiner Berufung zum zweiten „Kirchencompositeur“ der Königlichen Hofkapelle im August 1764 hielt sich Johann Gottlieb Naumann erstmals in Italien auf, um seine musikalischen Kenntnisse zu vervollkommnen und berühmte Musikzentren wie Venedig, Rom und Neapel kennenzulernen. In Venedig erhielt er den ersten Opernauftrag und debütierte 1763 am Teatro San Samuele mit dem Intermezzo „Il tesoro insidiato“. Von 1772 bis 1774 weilte er wiederum in Italien, wo er insgesamt vier Opern für Venedig und Padua schrieb. Mit der Komposition von „Solimano“ hatte er offenbar schon in Dresden begonnen, denn bis zur Uraufführung im Teatro Nobile di San Benedetto in der Karnevalssaison 1773 blieb ihm nach seiner Ankunft in Venedig nur eine Frist von drei Monaten.

Morlacchis Oper „Tebaldo e Isolina“

Francesco Morlacchi: Tebaldo e Isolina
Melodramma Romantico in 2 Atti.
Zeitgenössische Abschrift, 1825.
SLUB: Mus.4657-F-508a
Fotos: SLUB

Morlacchi, der in Italien bereits auf eine glänzende Opernkarriere zurückblicken konnte, wurde 1810 zum Kapellmeister der Italienischen Oper in Dresden berufen. Als Carl Maria von Weber 1817 die Leitung der Deutschen Oper übernahm, musste er sich der wachsenden Konkurrenz stellen. Hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt eher dem komischen Genre verpflichtet gefühlt, schuf er ab 1818 mehrere Opere serie, die in den wichtigsten Opernhäusern Italiens erklangen.
„Tebaldo e Isolina“, 1822 in Venedig uraufgeführt, wurde ein dauerhafter Erfolg. Die Dresdner Erstaufführung fand am 3. Mai 1825 statt. Die gezeigte Dirigierpartitur dieser umgearbeiteten Fassung wurde von Dresdner Notisten angefertigt und von Morlacchi mit Vermerken zu Regie und Szenerie sowie kompositorischen Nachbesserungen versehen.