Von Pult zu Pult

Das Reformationsnetzwerk spannte sich weit über ganz Europa, geknüpft durch Briefe, denen häufig die neuesten Druckerscheinungen beigegeben wurden. Widmungen oder Bucheinträge erlauben uns interessante Einblicke in die Mechanismen der Beziehungspflege. Briefe aus Königsberg, Greifswald, Nürnberg, Ungarn usw. erreichten die Wittenberger Autoritäten, oft erbaten sie Rat in kommunalen Angelegenheiten oder Stellenbesetzungsfragen. Zum Teil sind diese Quellen nicht ediert, obgleich sie wichtige Kenntnisse über persönliche Beziehungen und die Alltagskultur vermitteln.

 

Andreas Osiander: Brief an Friedrich Pistorius, 5. Juni 1549
Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,12(3)

Die Qualität der Königsberger Seife ließ offensichtlich sehr zu wünschen übrig, weshalb der wegen des kaiserlichen Religionsmandats aus Nürnberg geflüchtete Andreas Osiander (1496/1498–1552) seinen Freund Friedrich Pistorius bzw. dessen Frau um ein Seifenrezept bat. Osiander hatte kurz zuvor eine Stelle als Professor an der Königsberger Universität angetreten, inzwischen war auch seine Familie eingetroffen.

 

 

 

Jacob Runge: Brief an Philipp Melanchthon, 28. September 1556
Signatur: Mscr.Dresd.C.107.f,19(1)

Der aus Pommern stammende Jacob Runge (1527–1595) war einer der Meisterschüler Melanchthons, bevor er den Wirren des Schmalkaldischen Krieges entfloh und in Greifswald sein Studium beendete, wo er bald Professor für Rhetorik wurde und 1556 Generalsuperintendent von Pommern-Wolgast. Der Ton des Briefes spricht für eine sehr enge und vertrauensvolle Beziehung Runges zu Melanchthon, den er in dieser Zeit oft um Rat in theologischen Streitigkeiten bitten musste.

 

 

Leonhard Stöckel: Brief an Philipp Melanchthon, 14. September 1546
Signatur: Mscr.Dresd.R.97, Bl. 93r

Dieser Brief des Praeceptor Hungariae (Lehrer Ungarns) richtet sich in großer Sorge an den Praeceptor Germaniae (Lehrer Deutschlands), wie Melanchthon wegen seiner pädagogischen Arbeiten vielfach genannt wurde. Der ungarische Pädagoge und Reformator Leonhard Stöckel (1510–1560) hatte in Wittenberg studiert und lebte inzwischen in Bartfeld (heute Bardejov), das zu den oberungarischen Städten gehörte, die sich 1546 zur Reformation bekannten und sich durch die türkenfreundliche Politik bedroht fühlten.

 

 

 

Johannes Calvin: Widmung für Justus Jonas [d.J.], 1552
Signatur: S.B.1862, Rückseite des Titelblatts

In Genf korrigierte Johannes Calvin (1509–1564) eigenhändig einige Druckfehler in der Abrechnung des aus Paris nach Genf vertriebenen Druckers Robert Estienne mit den Zensoren der Sorbonne, bevor er das Buch mit seiner Widmung nach Wittenberg sandte. Empfangen hat das Buchgeschenk mutmaßlich der Sohn des gleichnamigen Luther-Freundes, Justus Jonas der Jüngere (1525–1567), der mit Calvin korrespondierte.

 

 

 

 

Thomas Müntzer: Randbemerkungen in der Tertullian-Ausgabe des Beatus Rhenanus, [1521/1522]
Signatur: Mscr.Dresd.App.747, S. [554/555]

Von Juli bis November 1521 hielt sich Thomas Müntzer in Prag auf, wo er wohl diesen Band mit lateinischen Schriften der Kirchenväter Cyprian und Tertullian erwarb, denn dem Einband nach wurde das Buch 1521 in Prag gebunden. In seinen zahlreichen Randglossen setzt sich Müntzer mit der Papstkirche, den Humanisten, aber auch Luther auseinander.

 

 

 

 

Philipp Melanchthon: Widmung für Johannes Hess, 1541
Signatur: Lit.Lat.rec.B.128.a, misc.1, Titelblatt

Dem Breslauer Reformator Johannes Hess (1490–1547) widmete Melanchthon diese 1541 in Straßburg erschienene Zusammenstellung einiger seiner Reden. Hess hatte in Wittenberg Freie Künste und Jurisprudenz studiert und war inzwischen in Breslau tätig. Seine Bibliothek war Zeitgenossen wohl bekannt, einige Bände gelangten Ende des 19. Jahrhunderts aus der Schlossbibliothek Oels in die Dresdner Sammlung.