Herrnhut: Impressionen damals und heute

Ab Juni 1722 kamen Exulanten aus Mähren, aus Schlesien vertriebene Schwenkfelder zu Zinzendorf, genauso wie andere nach einer Möglichkeit zur Praktizierung ihrer nicht obrigkeitskonformen Frömmigkeit Suchende aus anderen Gebieten des Reichs und dem nördlichen Europa. Nach wenigen Jahren übernahm Zinzendorf mehr und mehr die Leitung der jungen Gemeinschaft in Herrnhut.

In einem Brief an Zinzendorf schreibt sein Verwalter am 8. Juli 1722: »Gott Segne es auch nach Seiner Güte, und verschaffe, daß, Euer Excellence, an dem Berg, der, der Hutberg heißet eine statt bauen, die nicht nur unter des herenHut stehe, sondern auch alle Innwohner auff des herenHut stehen.«
Als Stiftungstag der erneuerten Brüder-Unität gilt der 13. August 1727, als die junge Gemeinschaft während des lutherischen Abendmahls in Berthelsdorf einen Zusammenschluss unterschiedlicher Glaubensauffassungen erfuhr. Ihre charakteristische Ausprägung entwickelte sie in wenigen Jahren.

Ihre religiösen Erfahrungen drängen die Herrnhuter dazu, Verbindungen zu anderen »Kindern Gottes« in verschiedenen Konfessionen zu suchen, ein gemeinschaftliches Leben in der Nachfolge Jesu Christi zu führen und andere daran teilhaben zu lassen.

Heinrich Friedrich Laurin nach Ludwig Friedrich Schmuz: Ansicht von Herrnhut von der Nordseite. Dresden: kolorierte Radierung, 1801. 
TS Mp.3.5

Der [Zinzendorf-]»Platz« in Herrnhut. 
Aquarell, ca. 1820. 
TS Mp.11.8

Um den zentralen Platz gruppierten sich die gemeinschaftlichen genutzten Einrichtungen: von links nach rechts: das erste Gemeinhaus, Herrschaftshaus, Brunnen, Zisterne und Marktbuden, sowie die nicht abgebildeten sogenannten Chorhäuser.

 

J. Riedel: Erinnerung an Herrnhut. 
Lithographie, Mitte 19. Jahrhundert. 
TS Mp.3.9

Neben dem Gemeinhaus, welches nacheinander als Pädagogium und Mädcheninternat, dann bis zum Bau des Kirchsaals auch als erstes Versammlungshaus diente, hatte das gemeinsame Leben der ledigen und verwitweten Herrnhuterinnen und Herrnhuter im jeweiligen »Chorhaus« – streng nach Geschlecht getrennt – seinen Mittelpunkt. Hier lebten und arbeiteten sie unter Hintansetzung des gesellschaftlichen Standes miteinander. Sie gaben den Herrnhuter Siedlungen in aller Welt ihr besonderes, sichtbares Gepräge. In Herrnhut ergänzt Zinzendorfs Wohnhaus, in dem er sein Leben beschloss und in dem von 1820 bis 1890 auch das Archiv und die Bibliothek der Brüder-Unität untergebracht war, die Reihe stattlicher Gebäude am Platz.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 brannte der historische Ortskern von Herrnhut ab. Der Wiederaufbau konnte nur zum Teil und mit anderen Nutzungen erfolgen.

Der Vogtshof wurde 1730 – 1746 als privates Wohnhaus erbaut. Ab 1756 war er Sitz der Schirmvogtei bzw. des Direktoriums, bevor es Zinzendorfs Neffe Heinrich XXVIII. Graf Reuss erwarb und in der Familie vererbte. Nach dem Tod des Zinzendorf-Enkels Heinrich Burggraf zu Dohna übernahm die Brüder-Unität das Anwesen mit ausgedehnter Gartenanlage. Seit 1913 ist dort der Sitz der Unitätsdirektion, der Leitung der Brüder-Unität im kontinentalen Europa. Im 2004 restaurierten Sitzungssaal werden alljährlich drei Jahre im Voraus die Losungen gezogen.

Der Kirch-, Bet- oder Versammlungssaal ist die »Gute Stube« der Brüdergemeine. Hier finden die Versammlungen der Gemeinde statt – nicht nur die Gottesdienste, sondern auch andere Zusammenkünfte. Der Wiederaufbau nach der Kriegszerstörung konnte 1953 realisiert werden. Im vergangenen Jahr wurde bei der Restaurierung des Gebäudes auch die älteste Farbfassung wiederhergestellt.

Im Saal gibt es keinen Altar und keine Kanzel: Der Liturg sitzt nur leicht erhöht an einem Tisch, die Gemeine im Halbkreis um ihn herum. Die Bänke können je nach Bedürfnis umgestellt werden, so dass der Raum vielseitig nutzbar ist. Die schlichte weiße Eleganz – innen wie außen – ist Ausdruck der Herrnhuter Fröhlichkeit im Glauben.

Die Herrnhuter Diakonie ist Träger einer Reihe sozialer Einrichtungen in Herrnhut, Kleinwelka und Hohburg. Seit 1998 wird sie als Stiftung der Evangelischen Brüder-Unität geführt. Regelmäßig finden im Altenpflegeheim Anna-Nitschmann-Haus Begegnungen zwischen den Generationen statt. Dazu gehört auch das Adventsbasteln mit Schülern des Zinzendorf-Gymnasiums, das seit 2007 zu einer schönen Tradition geworden ist.

Nach langwierigen erfolglosen Verhandlungen zur Übernahme des 2008 endgültig geschlossenen Maria-Sybilla-Merian-Gymnasiums gründete die Brüder-Unität 2005 mit dem Zinzendorf-Gymnasium ein Gymnasium in freier Trägerschaft. Damit wurde die seit 1724 am Ort bestehende kirchliche Tradition höherer Bildung wieder erneuert. Es hat eine spezielle Profilierung in den Bereichen von Wirtschaft/Wirtschaftsethik und Diakonie. Im Schuljahr 2009/2010 werden ca. 250 Schüler betreut und die erste Abiturprüfung abgenommen.

Im historischen Ortskern Herrnhuts befindet sich dieses prächtige, spätbarocke Bürgerhaus. Das Gebäude wurde 1764 als Wohnhaus erbaut. Vom Stadtbrand am Kriegsende 1945 blieb das Haus glücklicherweise verschont. So konnte hier 1962 das zweite Herrnhuter Heimatmuseum eingerichtet werden, da das erste Museum von 1878 beim Brand im Mai 1945 vollständig zerstört wurde. Die original erhaltenen und liebevoll eingerichteten Räume sind ein reizvolles Beispiel für bürgerliche, Alt-Herrnhuter Wohnkultur. Der zum Haus gehörende barocke Rosengarten mit einem historischen Gartenhaus rundet das Bild der damaligen Lebenskultur harmonisch ab.

Glanzstück des Herrnhuter Heimatmuseums ist das sogenannte »Biedermeierzimmer«. Die eleganten Möbel aus Kirschholz zeugen von der hohen Kunstfertigkeit der damaligen Herrnhuter Tischlerarbeit. Bemerkenswert ist die farbige Tapete, bei der es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine englische Manufakturarbeit um 1860 handelt. Viele der in diesem Raum ausgestellten Zeichnungen stammen von Lydia Kölbing (1798 – 1854), einer Tochter des Hauses.

 


Stephan Augustin: Völkerkundemuseum Herrnhut. 
Digitalfotografie, 2010.

Für das Gebäude des Völkerkundemuseums Herrnhut, heute Teil der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen – Staatliche Kunstsammlungen Dresden, wurde am 26. Mai 1900, dem 200. Geburtstag von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, der Grundstein gelegt und genau ein Jahr später in diesem Zweckbau die erste Ausstellung eröffnet. Der linksseitige Erweiterungs-bau wurde 1994 als einer der ersten Museums-bauten im Freistaat Sachsen nach der politischen Wende errichtet.

Stephan Augustin: Altar einer buddhistischen Tempeljurte (churul) der Kalmyken in der Dauerausstellung. 
Digitalfotografie, 2010.

Die Kalmyken wanderten im 17. Jh. von Innerasien kommend in die Steppengebiete Südrusslands ein. Sie sind das einzige mongolische Volk und die einzige in sich geschlossene Gruppe von Vertretern des Buddhismus in Europa. Heinrich August Zwick, ein Herrnhuter, sammelte von Sarepta aus um 1825 die Ritualobjekte, die zur Einrichtung einer Tempeljurte gehören. Die ebenfalls von ihm gesammelten Handschriften und Blockdrucke befinden sich seit 1839 im Bestand der heutigen Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. 

In der Oberlausistz entstanden im 18. Jh. drei Gemeinden der Brüdergemeine. Nach Herrnhut wurden Niesky (1742) und Kleinwelka (1751) gegründet. Die Tafel mit Kupferstichen von Grundrissen und Prospekten wurde 1782 der Synode gewidmet.

Eine 1754 bis 1757 in der »Malerakademie« in Großhennersdorf von Abraham Louis Brand gestochene Serie von 24 Kupferstichen zeigt viele der damals vorhandenen Herrnhuter Niederlassungen (Gemeinden und Schulen) in Deutschland, Europa und Übersee.   


Andreas Tasche: Das kleine Kirchlein der neuen Brüdergemeine in Matema am Malwaisee (im Südwesten von Tanzania).
Digitalfotografie, 2009.
HMH-Archiv


John McOwat: Die neue Kirche am »Moravian Institute« in Rajpur (Internatsschule der Brüdergemeine Nordindien).
Digitalfotografie, 2009.
HMH-Archiv

In den Schulen und Internaten der Brüdergemeine gab es nicht nur Raum für intellektuelle und musische, sondern auch für körperliche Betätigungen. Die Schüler des Pädagogiums pflegten in Niesky eine eigene Gartenanlage »Monplaisir«. In Niesky stand eine der ersten Turnhallen und in Neuwied sollen die aus England stammenden Schüler das Fußballspielen eingeführt haben. Um die Wende zum 20. Jh. fuhren Schüler auf Skifreizeiten in die Alpen, die Schülerinnen spielten Tennis.

Ostermorgen 2010 auf dem Herrnhuter Gottesacker am Hutberg. Hier wurde Zinzendorf am 16. Mai 1760 in einer blau ausgemalten Gruft neben seiner ersten Gemahlin beigesetzt. Wenige Tage später erhielt neben ihm seine zweite Ehefrau ihr Grab. Ihnen folgten die weiteren Ortsherrschaften.